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Dokumentation von Grundsatzpapieren zur Arbeit im Akademischen Senat (AS) aus dem Jahre 2024

Zum Geleit

Befreiung! In der "Zeit der Monster"

„ (…) oder ist es vorzuziehen, die eigene Weltauffassung bewusst und kritisch auszuarbeiten und folglich, im Zusammenhang mit der Anstrengung des eigenen Gehirns, die eigene Tätigkeitssphäre zu
wählen, an der Hervorbringung der Weltgeschichte aktiv teilzunehmen, Führer seiner selbst zu sein und sich nicht einfach passiv und hinterrücks der eigenen Persönlichkeit von außen Stempel aufdrücken zu lassen?“

Antonio Gramsci, Gefängnishefte, Band 6, H 11, „§ 12 Einige vorauszuschickende Anhaltspunkte“, 1932-1933, [1375].



Inhalt

Editorial
1. Zum Geleit CLXXIII – Bewußte Soziabilität
2. Zum Geleit CLXXIV – Up to date, Subjekte der Aufklärung
3. Zum Geleit CLXXV – Menschenbild
4. Zum Geleit CLXXVI – Zur Laufrichtung
5. Zum Geleit CLXXVII – Mit Sinn und Verstand
6. Zum Geleit CLXXVIII – Neuer Anlauf
7. Zum Geleit CLXXIX – Vernunft mit stärkerer Bedeutung
8. Zum Geleit CLXXX – Alles gegen Trump

Die Kandidat_innen des BAE!, Liste 1 für die Wahl zum AS


Editorial

„Das Alte stirbt und das Neue kann nicht zur Welt kommen: Es ist die Zeit der Monster.“
Antonio Gramcsi, 1930.

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn ein Krieg stattfindet, ist es höchste Zeit, von Frieden zu sprechen. Es sind nicht die Mittel der Gewalt, sondern es sind Sprache und Philosophie, Disput und Diplomatie, Literatur und Kultur, wissenschaftliche Kritik und Erkenntnisdrang, Sympathie und Solidarität – es ist die Arbeit des materiellen und ethischen (Wieder-)Aufbaus, die Kriege beendet. Diese humane Energie befähigt Menschen zur Überwindung jeder Gewalt. Diese Ambition leitet unser Engagement. Wir laden zur Mitwirkung ein.

Das Jahr 2024 hat permanent Anlässe geschaffen, vom Frieden zu sprechen – und von den Ursachen seiner Abwesenheit: Die Krise der globalen Eliten ist umfassend; ohne Konzeption für die Zukunft der
Menschengemeinschaft, nicht einmal mit einem schlüssigen Plan zur „Rettung der Wirtschaft“, klammern sie an ihren „Werten“: Geschäft und Gewalt, „Freiheit“ und „Sicherheit“. Sie führen somit einen Krieg gegen die 99 % und betreiben unentwegt Sabotage der sozialen Vernunft.

Dieser Hegemonie widerstrebt eine transkontinentale Aufrichtung: progressive Bewegungen, um soziale Befreiung ringende Bevölkerungen und auch Staaten, die eine gerechtere, nachhaltige und dafür multilaterale Weltgesellschaft anstreben. So verstanden, leben wir tatsächlich in einer „Zeitenwende“.

Es braucht einen Durchbruch wissenschaftlich qualifizierter, solidarischer entfalteter, demokratisch praktizierter Menschlichkeit, um den Globus bewohnbar zu erhalten und die Gesellschaft(en) gerecht und friedlich zu gestalten.

Die Universität sollte ein Ort sein, an dem möglichst viele Menschen einander dazu befähigen. Dieser moderne Anspruch ist gegen politische Beharrung durchzusetzen. Die Regierungsdoktrin lautet: Kriege und Krisen erzwängen Aufrüstung, Sparsamkeit und Anpassungsbereitschaft – und Rechtsaußen verstärkt dazu den sozio-kulturellen Druck.

So sind wir, alle Mitglieder der Universität, gefordert, unsere historische Bedeutung bewusst wahrzunehmen. Dafür bedarf es universitätsweiter Diskussionen, Initiativen und Entscheidungen. Der Akademische Senat (AS) ist als gesamt-universitäres, gewähltes Gremium ein dafür bestimmter Ort. Hier treffen Studierende, Mitarbeiter:innen, Professor:innen und Präsidium zusammen. Damit daraus eine allseits förderliche Veranstaltung wird, ist unsere Initiative für kritischen Gegenwartsbezug,
soziale Verantwortung und Geschichtsbewusstsein unverzichtbar.

Wir setzen darauf, dass alle sich die Quelle der menschlichen Fähigkeit erschließen, sich aus unverständlichen und schwer veränderlichen Bedingungen erheben und nach und nach die Geschichte zum Wohle der Vielen beeinflussen: humanistische Kultur.

Dafür veröffentlichen wir vor jeder Sitzung des Akademischen Senats (AS) die Reflexion „Zum Geleit“. In dieser Broschüre sind die „Geleite“ aus dem Jahr 2024 zusammengefasst und kurz auf die Kontroversen der AS-Sitzungen bezogen, für die sie geschrieben wurden.

Wir wünschen eine anregende Lektüre!

junge sozialist:innen & fachschaftsaktive
Liste LINKS,
SDS*
sowie zahlreiche Freunde

Zusammen das
Bündnis für Aufklärung und Emanzipation! (BAE!)


Zum Geleit CLXXIII

Zur AS-Sitzung am 25. Januar 2024

Das Jahr 2024 beginnt mit einer Vielzahl von Hochwasserkatastrophen und der wissenschaftlichen Diagnose: Erstmals lag 2023 an der Hälfte aller Tage die Temperatur 1,5 Grad Celsius höher als normal. Derweil toben Kriege, in der Ukraine, in Gaza, aber auch vielfach auf dem afrikanischen Kontinent. Die globalen Militärausgaben betragen rund 2.000 Mrd. Dollar jährlich, während die weltweiten Ausgaben für die Eindämmung der Klimakatastrophe
gerade mal 300 Mrd. Dollar ausmachen – ein Zehntel dessen, was viele Wissenschaftler und NGOs für nötig halten. Da wäre es, zumal für eine „Universität der Nachhaltigkeit“, angemessen, mit allen Mitteln der wissenschaftlichen Aufklärung und des persönlichen Engagements für eine rein zivile und dem Frieden zuträgliche Wissenschaft einzutreten. Die Mitglieder des Akademischen Senats (AS) haben die Möglichkeit, sich für den Erhalt von Zivilklauseln an den Universitäten im Bundesgebiet auszusprechen,
abgelehnt. Für das „Gewissen“ folgten sie aber – mit Einschränkungen – einem Antrag der Fridays4Future, Werbung auf dem Campus zu minimieren. Die dem AS vorgestellte „Internationalisierungsstrategie“ erschöpft sich mehr in der Suche nach Renommee als im Bemühen
um Völkerverständigung.
Diese Kontroverse wird uns das ganze Jahr begleiten. Professoren konform
mit der militaristischen „Zeitenwende“? Das muss nicht so sein!

Bewußte Soziabilität

Fundamentale Erkenntnis
„58
Und das Lernen des Schauspielers muß zusammen mit dem Lernen der anderen Schauspieler, sein Aufbau der Figur mit dem Aufbau der anderen Figuren vorgenommen werden. Denn die kleinste gesellschaftliche Einheit ist nicht der Mensch, sondern zwei Menschen. Auch im Leben bauen wir uns gegenseitig auf.“

Bertolt Brecht, „Schriften zum Theater“, 1948.

Idealiter alle Personalpronomen

Der Spracherwerb ist seine Anwendung:
Überzeugung sucht Ausdruck und Bewegung.

Die Bewegung richtet sich auf menschliche Verhältnisse,
welche immer wieder sprechend sind und machen.

Mit dem Kopf geht es nicht durch die Wand,
der Blick in die Ferne läßt Nahes erkennen.

Hoffnung ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt
und dem Handeln vorausgeht.

IchDuErSieEsWirIhrSie - Universell.


Zum Geleit CLXXIV

Zur AS-Sitzung am 4. April 2024

„Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ – diese Schlussfolgerung aus der deutschen Geschichte ist eine Einheit, die sich auch im Grundgesetz, nicht zuletzt durch das Friedensgebot in der Präambel, den ersten Artikel („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) sowie im Sozialstaatsgebot und der Meinungs-, Kunst und Wissenschaftsfreiheit niederschlägt. Unter dem Eindruck verstärkter politischer Erwartungen der Regierung und der EU-Kommission, die Hochschulen
für militärische Zwecke zu öffnen, muss mit neuer Klarheit die Aktualität dieser Lehren hervorgehoben und praktiziert werden. Nachdem das Studierendenparlament nun auch vom AS verlangt, sich solidarisch mit den hessischen und bayrischen Universitäten für einen Erhalt von Zivilklauseln zu positionieren, wird dieses Erfordernis diskutiert. Dabei schwankt eine Mehrzahl der Hochschullehrer:innen und Angestellten im AS zwischen der Rolle hochbezahlter Untertanen und zivil couragierter Bürger:innen. Im Ergebnis erhält der Rat für Wissenschaftsethik den (bis dato nicht realisierten) Auftrag, einen Vorschlag dafür zu erarbeiten, wie universitätsöffentlich die Bedeutung akademischer Freiheit für Frieden und Humanität in der veränderten politischen Lage gestärkt
werden kann. Das ist zu zögerlich. Immerhin wird vereint zur Beteiligung an den Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus (8. Mai 1945) und zu dessen Thematisierung in der Lehre aufgerufen. Es können und müssen sich alle beimessen, für menschenwürdige Verhältnisse einzutreten:

Up to date, Subjekte der Aufklärung

Historisch
„Kant [1724-1804] bewies uns [in der * „Kritik der reinen Vernunft“, 1781]. daß wir von den Dingen, wie sie an und für sich selber sind, nichts wissen, sondern daß wir nur insofern von ihnen wissen, als sie sich in unserem Geiste reflektieren. (…) Die bisherige Philosophie, die schnüffelnd an den dingen herumlief und sich Merkmale derselben einsammelte und sie klassifizierte, hörte auf, als Kant erschien,und dieser lenkte die Forschung zurück in den menschlichen Geist und untersuchte, was sich da kundgab. Nicht zu Unrecht vergleicht er daher seine Philosophie mit dem Verfahren des Kopernikus.[Nikolaus Kopernikus 1473-1543, die Erde dreht sich um die Sonne, gilt in der Historiographie ein Wegstein vom Mittelalter zur Neuzeit.]
Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, Drittes Buch, 1835.

„Der Blitz der Überzeugung zündete überall.“ (1008)
Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft F, 1776-1779.

1) „Was kann ich wissen?“
Alles, was mir und Meinesgleichen Einsicht, Aussicht und Handlungsfähigkeit bildet.

2) „Was soll ich tun?“
Alles, was zwecks der Menschenwürde politisch, sozial und kulturell konkrete Bedeutung realisiert.

3) „Was darf ich hoffen?“
Daß der Mensch sich selber schafft, in Überwindung von Unmündigkeit und Elend.


Zum Geleit CLXXV

Zur AS-Sitzung am 2. Mai 2024

Der Wonnemonat Mai ist in diesem Jahr auch der Monat des größten NATO-Manövers in Europa seit Ende des Kalten Krieges. Der Druck der Militarisierung wirkt sich nicht zuletzt in engen Aussichten für die Hochschulfinanzierung aus. Der Akademische Senat mag sich für eine militarisierte Zukunft mit gesteigertem Mangel nicht begeistern, aber er lässt aufkeimenden Unmut artig in „Selbstverwaltung“ stranden (pflegliche „Diversität“, ein besseres Modell der Finanzierung von Gebäudeerhalt und -modernisierung sowie milde Kritik an der Unterfinanzierung). Es lohnt sich, dagegen zu erinnern, dass ambitioniertes, kritisches Eingreifen für menschenwürdige Verhältnisse Ursprung und Sinn moderner Wissenschaft sein sollte:

Menschenbild

Zur Unterscheidung
„Durch zwölf Jahre [1933-1945] ist der Begriff und ist der Wortschatz des Heroischen in steigendem Maße immer ausschließlicher auf kriegerischen Mut, auf verwegene todverachtende Haltung in irgendeiner Kampfhandlung angewandt worden. Nicht umsonst hat die Sprache des Nazismus das neue und seltene Adjektiv neuromantischer Ästheten: >kämpferisch< in allgemeinen Umlauf gesetzt und zu einem ihrer Lieblingsworte gemacht. Kriegerisch war zu eng, ließ nur an Dinge des Krieges denken, war wohl auch zu offenherzig, verriet Streitlust und Eroberungssucht. Dagegen kämpferisch! Es bezeichnet in einer allgemeineren Weise die angespannte, in jeder Lebenslage auf Selbstbehauptung durch Abwehr und Angriff gerichtete, zu keinem Verzicht geneigte Haltung des Gemütes, des Willens. Der Mißbrauch, den man mit dem Kämpferischen getrieben hat, paßt genau zu dem übermäßigen Verschleiß des Hroismus bei schiefer und falscher Verwendung des Begriffes.“
Victor Klemperer, „LTI/Lingua Tertii Imperii/Die Sprache des Dritten Reiches“, „Heroismus/Statt eines Vorwortes“, Halle (Saale) 1957/Leipzig1975/20. Auflage 2005, S. 14.

1) Zeitgemäß
Die Erinnerung
an die größte Verdrehung
läßt weiter blicken.

2) Präzision
Wer es genau nimmt
mit allen Bedeutungen,
schätzt Seinesgleichen.

3) Wort und Tat
Stets angemessen,
zu sagen, was ist und soll,
bestimmt die Haltung.

4) Vital
In Spannung gewollt
erkannte Wohlentwicklung
steigert die Freude.


Zum Geleit CLXXVI

Zur AS-Sitzung am 30. Mai 2024

Böse Zungen sprechen zuweilen von „akademischer Selbst-ver-altung“ statt von Selbstverwaltung, die ja eigentlich eine demokratische Errungenschaft zur lebhaften Mitgestaltung einer sozialen und zivilen Demokratie ist.
Die Kontroversen der Vormonate haben allerdings bewirkt, dass sich einige Mitglieder des Akademischen Senats neu mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft auseinandersetzen. Die in dieser Sitzung anstehende Wahl neuer Mitglieder des Hochschulrats (eine Art „Beirat“ der Universität) ist insofern ein Lichtblick gegen die Selbst-Verzwergung, als dass die Kandidierenden sich engagiert für die Verteidigung rein ziviler Wissenschaften einsetzen und dies persönlich zu begründen wissen. Angesichts des aufhaltsamen Aufstiegs der AfD im Lande steht für alle an, sich im Ensemble mit anderen höhere positive Bedeutung zu geben:

Zur Laufrichtung

„Kleine Fabel
>Ach<, sagte die Maus, >die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort steht die Falle, in die ich laufe,< >Du mußt nur die Laufrichtung ändern<, sagte die Katze und fraß sie.“

Franz Kafka, 1920.

Bewegungsbewußtsein

Was regt sich?
Der Wille zum Vergessen
oder
die Bereitschaft zur Verwirklichung?

Was zeigt sich?
Die Fata Morgana der Freiheit
oder
der Weg aus der Wüste?

Was hat Bedeutung?
Das Kleine im Winkel
oder
das Gemeinsame voran?

Woran messen wir?
An schleichender Verbitterung
oder
an heiterem Gelingen?

Die Fragen antworten.


Zum Geleit CLXXVII

Zur AS-Sitzung am 27. Juni 2024

Bei dieser Sitzung war die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) zu Gast. Daß die politischen Amtsträger den Akademischen Senat besuchen, ist
eigentlich eine gute Errungenschaft, denn das Gespräch findet so eher auf gleicher Augenhöhe statt. Die Mitglieder des AS und zuweilen auch der weiteren Universität erhalten so die Möglichkeit, die gesellschaftliche Relevanz und tatsächliche Bedeutung der universitären Bildung und Forschung mit denen zu diskutieren, die über die staatliche Finanzierung mit entscheiden. Ärgerlich ist allerdings, dass neuerdings der Akademische Senat sich „kein politisches Mandat“ mehr beimisst, also weder, wie bisher, offensiv die Politik mit Schuldenbremse (dauerhafte Unterfinanzierung) kritisieren will, noch mit der Senatorin in einen vertiefenden Dialog über die gegenwärtige Bedeutung unserer Universität für Aufklärung gegen Rechts, eine lebendige demokratische Kultur und für Friedens-Bildung mit besonderer Verantwortung für den Nahen Osten und die Rezeption dieses Krieges hier eingestiegen ist. Sie hingegen nutzte die Gelegenheit, sich als Vertreterin kriegsbereiter „Staatsräson“ zu präsentieren und – wenn auch mit großem Bedauern – diese Bereitschaft zur Militarisierung auch allen abzuverlangen.
Der Akademische Senat blieb damit unzufrieden und angespannt. Aber eine aus dem Studierendenparlament und von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen realisierte Initiative für akademische Solidarität mit den Mitgliedern der zu diesem Zeitpunkt restlos zerstörten 19 Hochschulen in Gaza sollte keinesfalls diskutiert werden.
Da ist dringend eine neue Haltung zu gewinnen:

Mit Sinn und Verstand

Vernunft in schwierigen Zeiten
„Nur das geistige Gewissen hält Stand – wenn ein gefühls- und gewohnheitsmäßiges Pflichtgefühl schon längst nachläßt. (…) Dauer! Endlich Dauer nach all dem greuelvollen und unnützen Widerstand gegen die Wahrheit! Damit eine Gesellschaft ehrenvoll dauert, muß sie die Macht des Wortes kennen.“
Heinrich Mann, „Die Macht des Wortes“, 1935.

Zutrauen

Das Wort Mensch
hat seine Bedeutung
im angewandten Verstand.

Gestaltung
wohnt dem Mensch-Sein inne,
in der Kooperation.

Mut und Tat
finden sich im Handeln
wider gesetzte Grenzen.

Die Person,
engagiert im Alltag
lacht uns heiter entgegen.


Zum Geleit CLXXVIII

Zur AS-Sitzung am 17. Oktober 2024

In der Universität wird nicht flächendeckend, aber an vielen Orten, in
Forschung und Lehre, und auch informell auf den Fluren und in den Mensen darüber diskutiert: Wie ist der gesellschaftlichen Rechtstendenz entgegenzutreten? Sie ist unübersehbar anhand massiver Wahlgewinne der AfD und ihrer hässlichen Verwandten bei der Europawahl, aber auch bei den Landtagswahlen. Mit Blick nach Israel und Palästina beschäftigt auch, dass gleiches Menschenrecht für alle gelten muss und dies die eigentliche Lehre aus Faschismus und Krieg ist. Das gegenwärtige Eintreten gegen Rechts muss sich daher immer zugleich gegen Antisemitismus und Rassismus, speziell
auch gegen Islamophobie, und jede andere Form der Menschenfeindlichkeit wenden. Die Erinnerung an den Jahrestag der Reichspogromnacht am 9.11. ist dafür ein wiederkehrender Anlass, zu dem der Akademische Senat auf unsere Initiative bisher immer zur Kundgebung auf dem Joseph-Carlebach-
Platz aufgerufen hat. Dies tut er zwar auch dieses Jahr, weigert sich aber mit professoraler Mehrheit, die vorbereitete Resolution wie gewohnt zu verabschieden, in der dieses Mal speziell der Vielfalt jüdischen Lebens und Engagements in der Universität Hamburg vor 1933 hervorgehoben wird. So
wird sich von vermeintlich höherer Warte aus tief vor neuer Unmenschlichkeit gebeugt, indem das Gedenken für Staatstreue missbraucht wird. Das bleibt aber nicht ohne erheblichen Widerspruch, von Mitgliedern des AS und besonders uns:

Neuer Anlauf

Schimpf und Schande?
„Deutschland lässt sich dazu vereinnahmen, das Frieden und Friedenssehnsucht zu Schimpfworten verkommen. Es gab bis 1990 eine Zeit, in der die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges schwer wog und nachwirkte, in der man sich Vorsicht auferlegte und nicht länger von Mythen wie Marne Schlacht und Verdun verführt sein wollte wie vor 1939. Vorübergehend und ausnahmsweise wurde bescheidener gedacht als üblich. Was Willy Brandts Ostpolitik ermöglichte, die es sich heute gefallen lassen muss, als abartig disqualifiziert zu werden von Leuten, denen nichts abwegiger erscheint, als in einem ukrainischen Schützengraben zu liegen. Kassandra wird nur nach dem tiefen Fall erhört, nicht vor dem nächsten Absturz. Wie lange soll das gutgehen?“
Lutz Herden, „Wenn Frieden und Friedenssehnsucht zu Schimpfworten werden“, „der Freitag“, Nr. 41/10.10.´24, S. 2.

1) Die Sage
Kassandra warnt laut,
damit die Bedrohung nicht
eintritt, zur Vorkehr.

2) Lernen
Die Wahrheitsfindung
bedeutet besonders bald
Gutes zu wagen.

3) Bedeutung
Im Allgemeinen
wirken die Einzelnen gut
stärker gemeinsam.

4) Modus
Humorvoll bedacht,
bewegt sich jäh voran die
Alternative.


Zum Geleit CLXXIX

Zur AS-Sitzung am 14. November 2024

Nach dem Tiefpunkt der vorherigen Sitzung scheint es einige kritische (Selbst-)Reflexionen gegeben zu haben. Angesichts der Wahl von Donald Trump und der Auflösung der Ampel-Regierung ist noch deutlicher als zuvor: Eine Strategie zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme, hier und im globalen Zusammenhang, ist nicht von den Regierenden (und erst recht nicht von den ökonomisch Mächtigen) zu erwarten. Hingegen sind wissenschaftliche Aufklärung, eine demokratisch gebildete und humanistisch engagierte Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Das stellt auch Anforderungen an den Akademischen Senat und die Universitätsleitung. Durch linke Impulse aus dem „Bündnis für Aufklärung und Emanzipation“ kommt immerhin zustande,
dass sich die Unileitung gegen Versuche von Regierung und Bundestag wendet, die akademische Freiheit einzuschränken und sich hingegen für eine offene, wissenschaftliche Diskussionskultur einsetzt. Damit sind wir gemeinsam Teil einer bundesweiten Bewegung für die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit gegen gesteigerte reaktionäre Einschüchterungsversuche: mit dem Ziel, Frieden und Humanität wissenschaftlich zu stärken. Zivilcourage sollte selbstverständlich werden:

Vernunft mit stärkerer Bedeutung

Reiche Autorität
„Mit Blick auf Amerika geht die Angst vor Handelskriegen um. Derweil ist im jüngsten Milliardärsindex von Bloomberg zu lesen, dass die zehn reichsten Menschen der Welt – es sind alles Männer – nach dem 5. November um 64 Milliarden Dollar reicher geworden sind. Trumps wirtschaftsfreundliche Versprechen von Deregulierung, Importzöllen und Steuersenkung werden wie 2016 an der Wall Street gefeiert, und diejenigen mit den größten Vermögen profitieren dort am stärksten.“
Ursula Scheer, „Kunst des Deals“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 11.11.´24, S. 9.

1) Ungenügende Gleichheit
„Auch ein Grund, stolz zu sein: daß man Bürger ist! Für den Armen besteht es darin, die Reichen in ihrer Macht und ihrem Müßiggang zu erhalten. Dafür dürfen sie arbeiten unter der majestätischen Gleichheit des Gesetzes, das Reichen wie Armen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“
Anatole France (1844-1924) in seinem Roman „Die rote Lilie“ (1894).

2) Ein aktuelles Problem
„Die globale Pandemie, nun in kollektiver Amnesie begraben, hinterließ ein Unbehagen, eine namenlose Unzufriedenheit, die reif für Ausbeutung war. Millionen von Menschen haben den Köder geschluckt.“
Siri Hustvedt (Schriftstellerin und Essayistin, sie lebt in Brooklyn), Sammlung von Stellungnahmen zur Wahl Trumps („Was jetzt?) in „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 10.11.´24, S. 33.

3) Rückgriff für Gegenwart und Zukunft
oder Vom Nutzen der Freiheit (Art. 5 GG)

„Eine jede Wissenschaft, in ihrem engen Bezirke eingeschränkt, kann weder die Seele bessern noch den Menschen vollkommener machen. Nur die Fertigkeit, sich in einem jeden Vorfalle schnell bis zu allgemeinen Grundwahrheiten zu erheben, nur diese bildet den großen Geist, den wahren Helden in der Tugend und den Erfinder in Wissenschaften und Künsten.“
Gotthold Ephraim Lessing, „Briefe, die neueste Literatur betreffend“, Zehnter Brief, 25.1.1759.

4) Mut zur Kritik im Gesellschaftsbezug
Im Büro, ganz hochweit oben,
läßt sich stets die Aussicht loben.
Die Personen, unten klein,
könn´von fern betrachtet sein.
Wissenschaft aus hoher Warte
kennt die Welt nur von der Karte.
Geht sie auf die Straßen nieder,
find´sie ihren Sinn wohl wieder.
Im Spaziergang durch die Gassen,
läßt sich das Soziale fassen.
Beine greifen aus und Blicke
für des Menschenwohl Geschicke.
Fährt der Fahrstuhl wieder hoch,
schütteln ab wir jedes Joch.


Zum Geleit CLXXX

Zur AS-Sitzung am 12. Dezember 2024

Zum Jahresende muss sich der Akademische Senat verstärkt den objektiven Herausforderungen stellen: Was hat die Welt von Trump & Musk zu erwarten? Wie soll es weitergehen nach baldiger Bundestags- und Bürgerschaftswahl? Hinsichtlich des Horrors, den die Kriege und Konfrontationen angesichts internationaler Machtverschiebungen im Nahen Osten, in Afrika
und auch in anderen Weltteilen bedeuten, und der positiven Relevanz, die eine engagierte Wissenschaftscommunity für eine humanistische Wende haben könnte, nimmt sich die Diskussion in diesem Gremium noch sehr kleinteilig aus. Aber es wird vereinbart, Wahlprüfsteine aufzustellen und die in Hamburg relevanten Parteien (ohne AfD) zur wissenschaftspolitischen Diskussion einzuladen. Auch der Unmut an stumpf betriebswirtschaftlichem Gebäudemanagement („Mieter-Vermieter-Modell“) und konkurrenzverschärfender Unterfinanzierung (Förderung für akademischen Nachwuchs) findet Bahnen. Jedoch: Manchen scheint Demokratie eher eine notwendige Last als eine befreiende, wertvolle Möglichkeit, die gemeinsamen Geschicke auch gemeinsam in die Hand zu nehmen. Anstelle der Schicksalsergebenheit sollte daher gelten:

Alles gegen Trump

Aufklärung
„Heutzutage lehnen immer mehr Menschen rationale Argumente als etwas ab, das lediglich Machenschaften der Macht verschleiert. Andere denken stattdessen, dass sie einen einzigartigen Zugang zur Wahrheit haben, der ihnen alle Zweifel erspart. Betörte Massen folgen absurden Propheten, irrationale Gerüchte lösen fanatische Taten aus und magisches Denken verdrängt den gesunden Menschenverstand und wissenschaftliche Erkenntnisse. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, haben wir die gebildeten Verächter des Wissens unter den Professoren und Journalisten, die › das Volk‹ idealisieren und uns einreden wollen, Brandmauern, um unsere unerschütterlichen Überzeugungen
zu errichten. (…) Manche Menschen sind von Natur aus neugierig; sie möchten erfahren, wie die Dinge wurden, wie sie sind. Sie mögen Rätsel, sie suchen nach Zusammenhängen, und es macht ihnen Spaß, ihre Ursachen zu erforschen. Andre stehen dem Lernen gleichgültig gegenüber. Sie sehen keinen besonderen Vorteil darin, Fragen zu stellen. (…) Sokrates behauptete, dass es keine Schande sei, Unrecht zu haben, sondern Unrecht zu tun.“

Mark Lilla (Prof. für Ideengeschichte an der Columbia University in New Nork), „Der Trump in uns“, „FAZ“, 7.12.2024, S. 9.

1) Verhältnis
Der Trump ist nicht nur außer sich, sondern auch außer uns. Er und Elon Musk gehören absolut nicht zu dem, was gut, richtig und sinnvoll ist.

2) Nachgedacht
Das Erbe der Menschheit (Antike, Renaissance, Aufklärung, Überwindung der Ausbeutung) sieht kein „Ende der Geschichte“ vor. Wir können diesen Schatz neu anwenden.

3) Die Konsequenz
Die humane Erbschaft ist ein kultureller Gewinn. Sie steht uns Allen zu und läßt uns sinnvoll handeln und kultivierter begegnen.

4) Heiterkeit
„Wer lacht, hat keine Angst vor dem Teufel.“
(Umberto Eco, „Der Name der Rose“, 1980/1982)
Mit kritischer Distanz und positiver Perspektive entsteht gemeinsamer Genuß.


Wahl zum Akademischen Senat

Der Akademische Senat (AS) ist das höchste Gremium der Universität. Er wählt den Uni-Präsidenten und entscheidet mit über die Zusammensetzung des Präsidiums und des Hochschulrats, diskutiert alle Grundsatzfragen der Uni-Entwicklung und hat Beschlussrechte (z.B. in Bezug auf die Prüfungsordnung, Mittelverteilung, Leitbilder.)

„Der Hochschulsenat kann in allen Selbstverwaltungsangelegenheiten, die die gesamte Hochschule berühren, vom Präsidium Auskunft verlangen und Empfehlungen aussprechen“, heißt es außerdem im Hochschulgesetz. Kontroversen um Wissenschaftsfreiheit, gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften, Hochschulfinanzierung oder Bau-Fragen können dafür als Beispiele dienen.

Der AS tagt einmal im Monat hochschulöffentlich. Er ist zusammengesetzt aus 10 Professor:innen, 3 Studierenden, 3 wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und 3 Mitgliedern des Technischen-, Verwaltungs- und Bibliothekspersonals. Die studentischen Vertreter:innen werden jährlich gewählt, alle anderen in jedem zweiten Jahr.

Die Wahl ist eine Briefwahl. Die Wahlunterlagen werden Euch inklusive eines freigemachten Rückumschlags von der Universität zugeschickt. Wer bis zum 6. Januar 2025 keine oder fehlerhafte Unterlagen erhalten hat, kann sie sich bis zum 20. Januar, 13.30 Uhr im Wahlamt der Uni aushändigen lassen.

Die Wahl endet am 20. Januar 2025, 14 Uhr. Bis dahin müssen die ausgefüllten Unterlagen beim Wahlamt angekommen sein. Das Wahlamt befindet sich im Mittelweg 177, Raum S 4061 und 4058, 20148 Hamburg.