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„Bologna“? – Starke Ernüchterung ist angemessen.

„Wie den unberechenbaren Naturkatastrophen der alten Zeit stehen die Menschen von heute ihren eigenen Unternehmungen gegenüber. Die bürgerliche Klasse, die der Wissenschaft ihren Aufschwung verdankt, den sie in Herrschaft verwandelte, indem sie sich zur alleinigen Nutznießerin machte, weiß gut, daß es das Ende ihrer Herrschaft bedeuten würde, richtete sich der wissenschaftliche Blick auf ihre Unternehmungen.“

Bertolt Brecht, „Kleines Organon für das Theater“, 1954.

„Nichts ist gut in Afghanistan“ formulierte die ehemalige Bischöfin Margot Käßman.

„Nicht alles ist gut in Afghanistan“ pervertiert der derzeitige Außenminister Westerwelle in seiner Regierungserklärung vom vergangenen Freitag diese Erkenntnis. Der enorme Schwach-Sinn des aktuellen Regierungshandelns und Schönredens hat stets eine Vorgeschichte und Nachahmer. Das gilt auch für die Hochschulen, obwohl sie Orte gesellschaftlich eingreifender Vernunft sein müßten und können.

Als Ende der 1990er Jahre die Einführung der Ba-/Ma-Studiengänge von Oben gegen gut begründete Opposition begonnen wurde, ging es wesentlichen Akteuren - z.B. der Bertelsmannstiftung mit ihrem CHE - darum, die entfesselte ökonomische Verwertung von Menschen, Erkenntnissen und Natur gegen sozialkritische, technikfolgenbewußte und friedensorientierte Bildung und Wissenschaften durchzusetzen. Jetzt sitzen alle im Mist: Das zerhackte Studium, die Zertifizierung nach marktwirtschaftlicher Opportunität und die strenge Selektivität sind eine erhebliche - vermeidbare - Deformation von Forschung, Lehre und Studium. Deshalb wurde von uns in der vergangen Sitzung des Akademischen Senats verdeutlicht, daß die unkritische Berufsorientierung „Vergeßlichkeit“ sowie die „Vorgeblichkeit“ und den „Verkauf von Wissen“ fördert, anstatt durch das Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge kritische Urteilsfähigkeit und durch analytische Konfliktfähigkeit Erkenntnisse zu gewinnen und somit das Leben aller zu erleichtern.

Elemente dieser Kritik werden in allen Teilen der Universität wahr- und aufgenommen. Der Präsident berichtete beispielsweise, daß die Hochschulrektorenkonferenz nach Wegen zum Ausstieg aus der sinnlos teuren und Kumpanei fördernden Akkreditierung sucht. Die Studiendekane der Fakultäten referierten Modifizierungen des beengenden Systems mit sehr unterschiedlicher Reichweite: Während in der WiSo-Fakultät das Anpassungstraining ABK für gänzlich unproblematisch gehalten wird und nur an der Anwesenheitspflicht gerührt werden soll, wird in der politisch kaum bedrängten MIN-Fakultät über eine erhebliche Reduzierung der Pflichtcurricula zugunsten ernsthafter Bildungselemente nachgedacht. Die Vertreterinnen der Fakultäten EPB und Geisteswissenschaften - also der menschennah besonders geforderten Gesellschaftswissenschaften - verharrten leider in oberflächlicher Empirie bzw. pragmatischen Modifikationen (und verschwiegen damit die prinzipielle Infragestellung des Kurz-Studiums, die in diesen Fakultäten vertreten wird).
Doch sind auch hier Entlastungen bei Anwesenheit, Prüfungsdichte und Trennschärfe der Module zu erwarten. Die Präsidialabteilung „Studium & Lehre“ scheint real existierende Zumutungen durch dringlich vorgetragenen Nachweise zur Kenntnis zu nehmen und einer Problemlösung zuführen zu wollen.

Von Bologna-Enthusiasmus war nirgendwo eine Spur. Aber die wesentlichen Erfordernisse - die Erneuerung verantwortlicher Bildung und Wissenschaft aus den Fächern in einem föderativen Gesamt, die Behebung der Unterfinanzierung, die Abschaffung der willkürlich zusammengezimmerten Regelstudienzeiten, Module und aller Zulassungshürden sowie der Notendiktate - werden in den Leitungsgremien kaum ernsthaft angegangen. Hier ist eine erhebliche Intensivierung von Kritik und Engagement aller Universitätsmitglieder sinnvoll.

Bildung sei Emanzipation! Alles Schlechte kann beendet werden. Wird sind nahe dran.