HomePublikationen › Flugblatt von Liste LINKS und harte zeiten mit SDS* vom

Eingedämmt?

Zur Weite des gesellschaftlichen Lebens

„Längst gehen die meisten Experten von einer Letalität aus, die weit unter einem Prozent liegt. Um nicht missverstanden zu werden: Auch das ist noch eine beängstigende Zahl und zwingt zu Gegenmaßnahmen. Masken, Abstand halten und Hygiene bleiben wichtig. Aber zur Panik besteht kein Anlass. (...) Wir müssen die ganze Gesellschaft in den Blick nehmen. Inzwischen ängstigen die Folgen von Corona viele Menschen mehr als das Virus selbst. Unzählige Bürger fürchten unverschuldet um ihre Existenz, um ihre Arbeitsplätze, um ihre Geschäfte und Unternehmen, die sie über Jahre aufgebaut haben. Ihre berechtigten Sorgen sind keine Covidiotie.“

Matthias Iken, „Zahl der Infizierten sollte nicht zum Maß aller Dinge werden“, „Hamburger Abendblatt“ (Leitartikel), 2.9.2020, S. 2.

„Armin Laschet war der erste deutsche Spitzenpolitiker, der im Kampf gegen die Corona-Pandemie für Augenmass und Liberalität geworben hat. Dafür wurde er monatelang beschimpft und verspottet. Doch die Zahlen geben ihm recht – und nicht etwa seinem Rivalen aus Bayern.“

Marc Felix Serrao, „Der andere Blick/Kaum Patienten und Tausende freie Krankenhausbetten: Warum Armin Laschet recht behalten hat und Markus Söder irrt“, „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 4.9.2020.

„Der Künstler und Wissenschaftler Manuel Gogos hat bereits vor der Pandemie eine Ausstellung am Literaturzentrum der Burg Hülshoff im Münsterland zu diesem neuen Biedermeier kuratiert. In den vergangenen Jahren, so Gogos, habe sich ein ›Krisengefühl in Permanenz‹ entwickelt: Globalisierung, Kriege, Migration. Gogos glaubt, dass das neue Biedermeier seine Ursachen in der Furcht vor der Geschwindigkeit der Moderne hat und in der Furcht, die Privatsphäre durch Digitalisierung zu verlieren. Corona hat diese kulturelle Strömung also nur verstärkt. Konsumpsychologe Felser denkt bei der Sehnsucht, die Welt auszusperren, allerdings weniger an Heimeligkeit als an Enge. Den Rückzug ins Private und das Heraushalten aus notwendigen politischen Debatten sieht er kritisch. Felser hofft darauf, dass am Ende der Wille der Menschen siegt, die Welt mitzugestalten, umzugestalten.“

AutorInnenkollektiv, „Trautes Heim, Job allein“, „SPIEGEL“ (Titel) Nr. 37/5.9.2020, S. 10–19, hier S. 18.

„ich erwähnte beiläufig, daß der egoismus des kleinen mannes besonders interessant sei. Wenig produktiv, leicht verletzlich könne er sich großzügigkeit nicht leisten und nur mit äußerstem egoismus selbst in den kleinsten dingen sich eben halten.“

Bertolt Brecht, „Arbeitsjournal“, 4.12.1940 (Finnland im Exil).

Zuerst einmal vorneweg: Gegen diese und andere Pandemien helfen nicht nur Aufklärung, Masken, Abstand halten und Hygiene, sondern auch – aus Fehlern ist zu lernen! – die bessere personelle und materielle Ausstattung der Krankenhäuser und Altenheime (inklusive ihrer Resozialisierung) sowie die sozial gerechte Findung und Anwendung von Gegenmitteln und Impfstoffen. Hierbei ist unbedingt – auch gegen Trump & Co. – international zu kooperieren.

Überdies sollte mit verschiedenen Akzenten der Pandemie-Maßnahmen keine innerparteiliche Machtpolitik betrieben werden.

Der Mensch war, ist und bleibt ein gesellschaftliches (soziales, kulturelles und politisches) Wesen. Und, seit jeher wahr und unbedingt bedenkenswert: Allein machen sie Dich ein.

Beispielsweise ist die Erwerbslosigkeit, so Sönke Fock, Chef der Agentur für Arbeit in Hamburg, in der Hansestadt – eindämmungsbedingt – mit einem Zuwachs von 34,7 Prozent oder 23.134 Menschen im Vergleich zum Vorjahresmonat August gestiegen. Da hilft keine individuelle Bewältigung. Dem ist politisch zu begegnen.

Auch das „Home-Office“ ist schon immer eine Isolierung aus dem sozialen Arbeitszusammenhang und bedeutet stets eine Arbeitsintensivierung und ist ohnehin nicht für alle Berufe realisierbar.

„Home, sweet home“, mit Joga, Ikea, Netflix und Sofa, ist eine stressgesättigte Reduktion der menschlichen Existenz auf eine unwürdige Unbedeutenheit und keineswegs die Lösung irgendeines Problems. Hingegen sind sinnvolle Arbeit, soziale Begegnung außerhalb der „eigenen“ vier Wände, kritische Meinungsbildung, kulturelle Teilhabe und Qualifikation, politisches Engagement bzw. gemeinsame Persönlichkeitsentwicklung aktive Elemente sinnvollen menschlichen Daseins. Hierfür gibt es historische Erfahrungen, präsente Beispiele und vorhandene und zu schaffende Möglichkeiten. Die Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen ist ein menschliches Bedürfnis. Der Appetit entsteht beim Essen. Und Übrigens: Für die Hochschulen so viel Präsenz wie möglich und so wenig Digital wie nötig. Der Weg führt hinaus ins Freie. Der Horizont verschiebt sich mit der Bewegung. Wissen ist ein Beweger.