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„Corona-Patriotismus“?

Die soziale Frage bleibt bestehen

„In Genf bei der WHO [Weltgesundheitsorganisation] hätten ihn viele gefragt, wie Deutschland bislang so gut durch die Krise gekommen sei. Darauf könnten alle in der Gesellschaft stolz sein. ›Wir haben ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl, wo ich auch dafür werbe, dass wir uns das erhalten: eine Art Corona-Patriotismus‹. (...) Keine klare Position bezog der CDU-Politiker im Streit um die Schließung von Schulen und Kitas. (...) Die Lehre aus der Krise sei, dass am Ende allein der Staat die nötige Sicherheit biete.“

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Funke-Live-Talk, dokumentiert durch Tim Brauer („Spahn wirbt für ›Corona-Patriotismus‹“), „Hamburger Abendblatt“, 26.6.2020, S. 3.

„Wer nur abwartet, was das örtliche Gesundheitsamt sagt, muss sich über seine eigene Entmündigung nicht wundern.“

Heike Schmoll, „Vormoderne Verhältnisse“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 29.6.2020, S. 1 (Leitkommentar und pädagogisches sowie soziales Plädoyer für Präsenzunterricht).

„Die Diskussion um die digitale Lehre versus Präsenzlehre ist also deswegen begrüßenswert, weil sie nach den Exzellenzdebatten der Forschung eine Diskussion um den Stellenwert des Studiums zurück in das Zentrum der Wissenschaften holt. Sichtbar wird nicht das Engagement oder die Faulheit von Studenten und ebenso wenig die technische Avanciertheit von Dozenten, sondern es zeigt sich, dass Studenten schlicht zu viele Veranstaltungen belegen müssen, um die Regelstudienzeit einzuhalten und ihren Bafög-Anspruch nicht einzubüßen.“

Matthias Buschmeier, „Das zerstreute Seminar“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 29.6.2020, S. 14. Der Autor lehrt germanistische Literaturwissenschaft an der Uni Bielefeld und ist Mitglied im Netzwerk Lernen.

„SPIEGEL: Der IWF [Internationale Währungsfonds] warnt in seinem aktuellen Bericht auch vor Unruhen. Warum?
Gopinath: Schon vor dieser Krise hat die wachsende Ungleichheit in einigen Ländern für Unzufriedenheit gesorgt. Die Coronakrise trifft vor allem gering qualifizierte Arbeiter. Das verstärkt die Einkommensungleichheit und erhöht das Armutsrisiko. Viele Länder haben erfolgreich mit staatlichen Hilfen gegengesteuert, aber die Gefahr sozialer Unruhen lässt sich nicht ausschließen.“

Gita Gopinath, Chef-Ökonomin des IWF, im Gespräch mit „SPIEGEL“, Nr. 27/27.6.2020, S. 68 („Wir brauchen Schuldenschnitte“).

Der politische Mechanismus oder die Inszenierung ist nicht neu und wird immer wieder versucht: Wenn wir folgsam, selig und bescheiden im Großen und Ganzen aufgehen, sind alle Probleme, Fragen, Widersprüche und belegbaren Unzufriedenheiten aufgelöst wie die Schwüle in einem erlösenden Sommerregen. Was sonst der „Standort“, die „Nation“, „die beste aller Welten“, „unsere Demokratie und Marktwirtschaft“ oder das neueste IPhone sind, soll diesmal der „Corona-Patriotismus“ sein.

Hinweg sollen sein Krieg, Umweltzerstörung, wachsende soziale Ungleichheit (besonders international), das privatisierte und kommerzialisierte Gesundheitssystem, die Bildungsungleichheit, das Ba-Ma-Hamsterrad, die massenhafte Erwerbslosigkeit, die prekären Beschäftigungsverhältnisse, die mangelhafte Bezahlung „systemrelevanter“ Tätigkeiten, der Arbeitsstreß, das Gefährliche rechter Kräfte und die Ruppigkeit des gesellschaftlichen Alltags.
Ausgeblendet sei mithin ebenso das wachsende Engagement auf allen Kontinenten für Frieden, internationale Solidarität, einen nachhaltig vernünftigen Umgang mit der natürlichen Umwelt, Aufklärung, Bildung und Geschichtsbewußtsein sowie für die rechtliche, politische, soziale und kulturelle Gleichheit der globalen menschlichen Gemeinschaft.

Die strukturelle Krise der menschlichen Zivilisation war schon vor der Corona-Pandemie bzw. dem Shutdown des gesellschaftlichen Lebens allseitig präsent. Überall auf der Welt wuchs das kritische Bemühen, menschenwürdige Bedingungen zu erkennen, zu fordern und zu schaffen.

Aufgeklärte Bildung, ein heilendes Gesundheitssystem, Kultur für Alle und eine bedarfsgerechte Rekonstruktion der sozialen Daseinsvorsorge sind wesentliche Faktoren für ein besseres gesellschaftliches Leben für Alle.

Hier sind nicht zuletzt die Wissenschaften neu und positiv gefordert. Dadurch entsteht authentischer Gemeinsinn.

„Die Verantwortung jedes einzelnen von uns ist ungeheuer: vergebens würde jemand sie fliehen wollen, weil er zu klein sei. Oder sie verschmähen, weil er sich zu groß dünkt.“

Heinrich Mann, „Kaiserreich und Republik“, 1919.