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Dokumentation von Grundsatzpapieren zur Arbeit im Akademischen Senat (AS) aus dem Jahre 2016

„Zum Geleit“

Heute für morgen: Renaissance des Allgemeinwohls

„Wenn damals die deutsche Intelligenz alles, was Namen und Weltnamen hatte, Ärzte, Musiker, Schriftsteller, Künstler, sich wie ein Mann gegen die Schande erhoben, den Generalstreik erklärt, manches hätte anders kommen können, als es kam.“

Thomas Mann am 7. September 1945 an Walter von Molo zur Begründung seines Exils.



Inhalt

Editorial

1. Zum Geleit CXI – Zuversicht?
2. Zum Geleit CXII – Mitteilungen oder Wie Entwicklung Freude machen kann
3. Zum Geleit CXIII – Nur Mut!
4. Zum Geleit CXIV – Sinngebung
5. Zum Geleit CXV – Konsequent – Schritt für Schritt
6. Zum Geleit CXVI – Zugewandt
7. Zum Geleit CXVII – Vitale Gedanken
8. Zum Geleit CXVIII – Engagierte Rationalität


Editorial

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

2016 – ein Jahr wachsender Polarisierung und Konflikte auf sozialem, politischem und kulturellem Terrain. Sogenannte liberale Demokratien und ihre Repräsentanten, die Pluralität und Weltoffenheit im Banner tragen, aber vor der sozialen Frage und der Notwendigkeit einer zügigen Wende zur Zivilisierung der internationalen Verhältnisse (mindestens) ausweichen, stehen auf dem Prüfstand.

Die rabiaten Antworten auf diese Krise sind weltweit gefährlich: sei es der „kalte“ Putsch korrupter Neoliberaler gegen die Partei der Arbeit in Brasilien, nationalistischer Größenwahn nebst Krieg und Diktatur in der Türkei, der Erfolg einer fremdenfeindlichen „Brexit-Kampagne“, das häßliche Wirken von Trump, Front National, AfD und Consorten in anderen Ländern.

Doch nicht weniger engagiert und enorm vorwärtsdrängend – wenn auch medial nicht umworben und bekannt gemacht – sind sozial fortschrittliche und solidarische Bewegungen überall. Als Ausdruck davon können exemplarisch die linke Erneuerung von „Labour“ in Großbritannien, die Bewegung um Bernie Sanders in den USA oder auch die wachsenden gesellschaftlichen Aktivitäten gegen „Freihandel“ und für eine international friedliche Entwicklung hierzulande gelten.

Eine wesentliche Aufgabe von Bildung und Wissenschaft ist seit jeher, das mehrheitliche Bedürfnis nach einer menschenwürdigen und nachhaltig gesicherten Weltgemeinschaft wahrzunehmen, sich mit progressiven Bewegungen zu verbünden und den „Mainstream“ entsprechend kritisch zu durchleuchten. Ressentiment und unsoziale Mythenbildung waren noch nie wahr oder sinnvoll. Wenn es gelingt, dies zu erkennen und zu verdeutlichen, läßt sich dergleichen mit Witz und solidarischer Bewegung auch überschreiten.

In dieser Lage sind die Kontroversen in der Universität zwischen Humanität oder konformem Einzelkampf gespannter geworden – mit einem deutlichen Schwerpunkt auf wachsender Solidarität: Davon zeugen zahlreiche Aktivitäten in der Konfliktforschung und Friedensbildung, das ungeminderte Engagement in der Flüchtlingssolidarität, klare Positionierungen gegen Rechts, für zivile Konfliktlösung (nicht zuletzt in der Türkei) und das engagierte Bemühen Vieler, gegen Unterfinanzierung und „Studium Bolognese“ inklusive und demokratische Bildung auf erweiterter Stufe zu verwirklichen.
Der Akademische Senat (AS) als höchstes Wahlgremium der Universität hat Verantwortung dafür, ein befreiendes, kooperatives Handeln der ganzen Universität zu fördern. Durch studentische Initiative hat er sich auch entsprechend positioniert. Im besten Fall geht es darum, ‚nach Innen‘ solidarisch Problemlösung zu erwirken und ‚nach Außen‘ gemeinsam für rechtliche, finanzielle und kulturelle Verbesserungen zu kämpfen.

Die „Geleite“, die wir hier dokumentieren, sind dazu programmatische Schriften. Wir verfassen und publizieren sie anläßlich jeder Sitzung des Akademischen Senats zur kritisch-reflexiven und heiteren Erhellung des größeren Kontextes universitärer Arbeit. Immer geht es um die Möglichkeit humanistischer Veränderung als Teil der Wirklichkeit. Zu diesem Zweck sind sie gestaltet.

In dieser Broschüre ist jedem „Geleit“ eine kurze Einordnung des jeweiligen Arbeitszusammenhangs des Akademischen Senats vorangestellt. So ist auch ein Überblick über die wesentlichen Kontroversen des Gremiums im Jahr 2016 möglich.

Wir wünschen anregende Lektüre!

Liste LINKS und harte zeiten – junge sozialisten
– Zusammen das „Bündnis für Aufklärung und Emanzipation! (BAE!)“ –


Zum Geleit CXI

Zur AS-Sitzung am 21. Januar 2016

Schon zu Beginn des Jahres 2016 ist erkennbar: Auch die Gegner einer menschenfreundlichen Gesellschaft schlafen nicht. Es ist nicht zuletzt die skandalfreudige und oberflächliche Berichterstattung über die „Sylvester-Übergriffe“ von Migranten in Köln und die mediale Hofierung der AfD, die die Öffentlichkeit beschäftigen und Ressentiments schüren. Die Universität wird für Aufklärung, Inklusion und nachhaltige Progression absehbar einer offensiveren gemeinsamen Positionierung bedürfen. Als Organ der uniweiten Verständigung kann der AS dazu beitragen:

Zuversicht?

1) Position

„Ein andres
Geh! gehorche meinem Winken,
Nutze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein:
Auf des Glückes großer Waage
Steht die Zunge selten ein;
Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein:“

Johann Wolfgang v. Goethe, Gedichte 1786-1788.

Hier drängt sich die Frage auf: Warum nicht „Schmied“ – allezeit?

2) Wandlung

„Die große Welt
Die Waage gleicht der großen Welt:
Das Leichte steigt, das Schwere fällt.“

Gotthold Ephraim Lessing, „Sinngedichte“, 1753-1771.

Was ist, ist geworden; was nicht bleiben soll, kann auch gehen. Ohnmacht übersieht so manches.

3) Aufklärung mit Konsequenz

„Im Jahre der Gnade 1789 begann in Frankreich derselbe Kampf um Gleichheit und Brüderschaft [wie in der deutschen Reformation], aus denselben Gründen, gegen dieselben Gewalthaber, nur daß diese durch die Zeit ihre Kraft verloren und das Volk an Kraft gewonnen und nicht mehr aus dem Evangelium, sondern aus der Philosophie seine Rechtsansprüche geschöpft hatte.“

Heinrich Heine, „Französische Zustände“ (1832), Beilage zu Artikel VI.

Die Philosophie kann eine Bewegerin sein. Aus der Geschichte läßt sich lernen. Bildung für Alle erhält so ihren Sinn.

4) Dialogisch

„Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß die meisten Menschen nicht zuhören können? Daß sie nur warten, bis sie dran sind – und daß sie dann, ohne Sinn und Zusammenhang, »ihrs« aufsagen, ganz gleich, was der Vorredner gesagt hat? Selten kommt das zustande, was Bahr* einmal so glücklich »das Kind des Gesprächs« genannt hat, fast nie.“

Kurt Tucholsky, „Die Inseln“, 1929.

Wer das liest, unterscheidet sich selbstverständlich davon. Hand aufs Herz.

* Hermann A. Bahr (1863 – 1934) war ein österreichischer Schriftsteller und Kunstkritiker.



Zum Geleit CXII

Zur AS-Sitzung am 21. Januar 2016

Ein neugewählter Akademischer Senat – das „Bündnis für Aufklärung und Emanzipation (BAE!)“ wieder dabei – beginnt sich von kleinlichen Konkurrenzen und Machtkämpfen zu befreien. Das wird schon bei der Verständigung zur Wahl der Vizepräsidenten (Fr. Frost und Hr. Louis) deutlich. Viel deutlicher aber ist, daß die Ursache der Übel, des Mangels, der Gereiztheit mit politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen zu tun hat, gegen die sich am besten gemeinsam zu wenden ist: Die Veröffentlichung über die „Panama-Papers“ ist auch ein Beitrag zur Aufklärung.

Mitteilungen
oder
Wie Entwicklung Freude machen kann

1) Auf Kassandra hören

„Die Situation scheint sich dem Kriege zu nähern, wird sich voraussichtlich wieder von ihm entfernen, um am Ende doch in ihm unterzugehen. Die kapitalistische Welt wird durch ihr Hätschelkind, den Fascismus, zum Kriege gezwungen werden.“

Thomas Mann, Tagebuch, 29.3.1939.

Schlechte Voraussagen werden nicht gemacht, damit sie eintreffen. Das Negative kann bekämpft werden. Einsichtiges Handeln ist wirksamer Teil der Realität.

2) Sprache, Erkenntnis und Konsequenz

„Man muß die Kategorien ändern, und das wird die Änderung der wirklichen Gesellschaft zur Folge haben.“

Karl Marx, Brief an P.W. Annenkow vom 28. Dezember 1846.

Krieg ist nicht Frieden, soziale Ungleichheit nicht demokratisch, rein betriebswirtschaftliches Denken nicht vernünftig, und die Konkurrenz ist keine Natureigenschaft des Menschen.

3) Der richtige Impuls: Zusammen.

„Der einzelne erwartet, daß der Organismus handelt, auch wenn er nicht tätig wird, und er überlegt nicht, daß gerade deshalb, weil seine Einstellung weit verbreitet ist, der Organismus notwendig untätig ist.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 15 (1933), § 13 „Kulturprobleme Fetischismus.“

Wenn Alle sich besonders richtig begreifen, dann wird der Jammer verschwindend klein. Die offene Aussprache bringt gemeinsame Aufgaben hervor. Der aufgeklärte Sozialbezug erzeugt gesellschaftliche Bewegung, wo bisher im Zweifel verharrt wurde. Die Richtung läßt sich bestimmen.

4) Mit’n Avec

„Wenn die Unternehmer alles Geld im Ausland untergebracht haben, nennt man dieses den Ernst der Lage.“

Kurt Tucholsky, „Kurzer Abriss der Nationalökonomie“, 1931.

Steuervermeidung und -hinterziehung sind an sich nicht lustig. Das Durchschauen straft Lügen als solche und kann auch Tatsachen korrigieren. Lachen ist nicht verboten.



Zum Geleit CXIII

Zur AS-Sitzung am 26. Mai 2016

Von studentischer Seite liegt dem Akademischen Senat – zum zweiten Mal – ein Antrag zur Solidarität mit den in der Türkei verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor. Die Mehrheit der Hochschullehrer_innen hatte Bedenken, ob eine solche Stellungnahme – einschließlich einer Kritik der loyalen Haltung der Bundesregierung gegenüber dem Diktator Erdogan – der Universität beizumessen sei. Eine kurze kritische Expertise aus dem GIGA (German Institut of Global and Area Studies Hamburg) wirkt positiv, ebenso wie Argumente für die zivilisierende Wirkung einer humanen Haltung. Es soll eine Solidaritätsveranstaltung der Universität geben.
Für ein „Nein!“ zur Gebührenpflicht bei weiterbildenden Masterstudiengängen, die zudem offenkundig weniger wissenschaftlich als marketing-orientiert sind, reicht hingegen die Courage nicht (ganz).

Nur Mut!

1) Vermeidung meiden

„Ängstlich zu sinnen und zu denken, was man hätte tun können, ist das Übelste, was man tun kann.“ (253)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.

Zweifel über das Wohlbestellt-Sein der Gegenwart, die ja stets ihre Geschichte hat – auch des eigenen Handelns –, sind nicht falsch, sollten aber zu Richtigem führen.

2) Verneinung des Falschen

„Aus Heinrich Mann spricht aber nicht nur die Weimarer Republik. Kultur entsteht, wird produziert in seinen Aufsätzen, indem er den Faschismus angreift.“

Bertolt Brecht, Notizen zu Heinrich Manns ›Mut‹, 1939.

Erst aus der Entscheidung zur Gegnerschaft wider das Menschenunwürdige entsteht die wirksame Einheit von Geist und Tat, d.h. die Aktivierung der so Verbündeten.

3) Kategoriale Einheit

„Frei sein heißt, gerecht und wahr zu sein; heißt es bis zu dem Grade sein, daß man Ungleichheit nicht mehr erträgt. Ja, Freiheit ist Gleichheit.“

Heinrich Mann, „Voltaire – Goethe“, 1910.

Wie? Wer wagt es hier, Freiheit und Gleichheit, einander bedingend, in eins zu setzen?
Heinrich Mann.

4) Gegen alle Usancen?

„Nun sind aber die Lebensgewohnheiten im bürgerlichen Haushalt keinem Wechsel der Geschichte unterworfen; ›der bürgerliche Haushalt wird nur deshalb betrieben, damit der archäologische Forscher dort noch heute die Arbeitsmethoden der Steinzeit studieren kann‹ (Sir Galahad). Hier eingreifen stößt auf Mord. Keine Zeitung, die es wagen könnte, in diesen Muff eine wettersichere Grubenlampe hinunterzulassen – das Geschrei von Hausfrauen, klavierübenden und gesangsheulenden Damen beiderlei Geschlechts, von organisierten Tierfreunden und reinemachewahnsinnigen Besessenen dampfte ihnen entgegen. In meiner Wohnung kann ich machen, was ich will – das wäre ja gelacht.“

Kurt Tucholsky, „Traktat über den Hund sowie über Lerm und Geräusch“, 1927.

Lachen? Gegen alle Usancen? Gegen schlechte – ja!



Zum Geleit CXIV

Zur AS-Sitzung am 16. Juni 2016

Der Akademische Senat beschäftigt sich mit der Arbeit des „Kompetenzzentrums Nachhaltige Universität“ (KNU) und des Behindertenbeauftragten. Zugleich wird kritisch die Begutachtung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer durch den regierungs- und wirtschaftsnahen „Wissenschaftsrat“ reflektiert. Ob künftig Bildung und Wissenschaft noch mehr nach Kriterien des Mainstream oder doch der friedlichen Nachhaltigkeit und Inklusion betrieben werden sollen, bewegt die Gemüter angesichts einer global wachsenden Gewaltsamkeit von Konflikten.

Sinngebung

1) So oder so

„Seit wann ist dann schlecht und recht und recht schlecht einerlei?“ (25)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft E, 1775-1776.

Entscheidungen gewinnen an Bedeutung – von Allen und überall.

2) Wende

„Der zerkleinerte und künstlich kurzweilig gemachte Tag war ihm buchstäblich unter den Händen zerbröckelt und zunichte geworden, wie er mit heiterer Verwunderung oder allenfalls nachdenklich bemerkte; denn Grauen hiervor war seinen Jahren noch fremd. Ihm war nur, als blicke er ›immer noch‹.“

Thomas Mann, „Der Zauberberg“, 1924, Aufbau Verlag 1987, S. 255.

Man plane, irdisch, über den Tag hinaus und lande nicht im Kriege. Der Frieden muß Alltag werden.

3) Einheit

„Freilich, die geistigen Interessen müssen mit den materiellen Interessen eine Allianz schließen, um zu siegen.“

Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, Erstes Buch, 1834.

Die Wissenschaften haben eine Aufgabe: Die Schaffung einer menschenwürdigen Existenz.

4) Im Disput

„Und erfahrungsgemäß kreischt ja niemand so wie der, dem recht geschieht.“

Kurt Tucholsky, „Standesdünkel und Zeitung“, 1926.

Das Neu-Aufkommen des Rückwärtsgewandten bedarf der Gegnerschaft.
Dafür gibt es eine Mehrheit. Sie sollte sich kennen und wirken lernen.



Zum Geleit CXV

Zur AS-Sitzung am 7. Juli 2016

Die erste Sitzung nach dem „Brexit“. Uni-Präsident Lenzen plädiert dafür, die Wachsamkeit und das Engagement für eine gesellschaftlich verantwortliche Entwicklung Europas zu steigern.
Für die Universität, deren Kernaufgabe wissenschaftliche Bildung ist, steht die Herausforderung an, neue Schritte aus der Ba/Ma-Enge zu machen: eine Rahmenprüfungsordnung soll dies erleichtern und ein Dies Academicus zur gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaften wird in Aussicht genommen – gegen heftige Widerstände eines Teils der Hochschullehrer_innen, die jede Veränderung und gemeinsame Verantwortlichkeit für eine unterbindenswerte Ruhestörung halten.

Konsequent – Schritt für Schritt

1) Wiederholt

„Wer, ehe er zu handeln, besonders zu schreiben beginnt, vorher untersuchen zu müssen glaubt, ob er nicht vielleicht durch seine Handlungen und Schriften hier einen Schwachgläubigen ärgern, da einen Ungläubigen verhärten, dort einem Bösewichte, der Feigenblätter sucht, dergleichen in die Hände spielen werde, der entsage doch nur gleich dem Handeln, allem Schreiben.“

Gotthold Ephraim Lessing, „Anti-Goeze“, Vierter, 1778.

Wer niemals beginnt, kommt immer zu spät.

2) Frage

„Die Bank ist der allgemeine Käufer, der Käufer nicht nur dieser oder jener Ware, sondern aller Ware.“

Karl Marx, „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie/Das Kapitel vom Geld“, 1858, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 42, S. 88.

Ist das Geistige eine Ware?

3) Ein Literat antwortet

„Wer also in Deutschland der ›Demokratie‹ das Wort redet, meint nicht eigentlich Pöbelei, Korruption und Parteienwirtschaft, wie es populärerweise verstanden wird, sondern er empfiehlt damit der Kulturidee weitgehende zeitgemäße Zugeständnisse an die sozialistische Gesellschaftsidee, welche nämlich längst viel zu siegreich ist, als daß es nicht um den deutschen Kulturgedanken überhaupt geschehen sein müßte, falls er sich konservativ gegen sie verstockte.“

Thomas Mann, „Kultur und Sozialismus“, 1928.

Der Veganismus hat nicht diese Reichweite.

4) Ursprung des Lichts

„Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnet. Wahrheit allein gibt echten Glanz und muß auch bei Spötterei und Posse, wenigstens als Folie, unterliegen.“

Gotthold Ephraim Lessing, „Anti-Goeze“, Zweiter, 1778.

Das orientierend Überzeugende ist mehr als die bloße Präsentation.



Zum Geleit CXVI

Zur AS-Sitzung am 15. September 2016

Die sozialen, politischen und kulturellen Widersprüche in der Welt werden immer größer. Mit Spannung wird in die USA geschaut; mit Grauen nach Syrien und in die Türkei. Jedoch nach Tagesordnung und mehrheitlicher Auffassung scheint sich der Akademische Senat nicht so ganz der täglich wachsenden Verantwortung stellen zu wollen, die Universität auch in dieser Polarisierung eindeutig auf Seiten von Aufklärung, Wahrheit und Humanität zu positionieren.
Das kann so nicht bleiben.

Zugewandt

„Zuckerbrot und Peitsche
Nun senkt sich auf die Fluren nieder
der süße Kitsch mit Zucker-Ei.
Nun kommen alle, alle wieder:
das Schubert-Lied, die Holz-Schalmei ...
Das Bürgertum erliegt der Wucht:
Flucht, Flucht, Flucht.

Sie wollen sich mit Kunst betäuben,
sie wollen nur noch Märchen sehn;
sie wollen ihre Welt zerstäuben
und neben der Epoche gehn.
Aus Not und militärscher Zucht:
Flucht, Flucht, Flucht.

So dichtet. Dichter: vom Atlantik,
von Rittern und von Liebesnacht!
Her, blaue Blume der Romantik!
»Er löste ihr die Brünne sacht ... «
Das ist Neudeutschlands grüne Frucht:
Flucht, Flucht, Flucht.

Wie ihr euch durch Musik entblößtet!
In eurer Kunst ist keine Faust.
So habt ihr euch noch stets getröstet,
wenn über euch die Peitsche saust.
Ihr wollt zu höhern Harmonien
fliehn, fliehn, fliehn.

Es hilft euch nichts. Geht ihr zu Grunde:
man braucht euch nicht. Kein Platz bleibt leer.
Ihr winselt wie die feigen Hunde –
schiebt ab! Euch gibt es gar nicht mehr!
Wir andern aber wirken weit
in die Zeit!
In die Zeit!
In die Zeit!“

Kurt Tucholsky (‚Theobald Tiger‘), 09.12.1930.
Nota bene, 2016

Die Krise hat ein Freizeitgesicht,
Das zeigt Tucho gereimt und dicht.
Wer aus der Geschichte lernen will,
Hält nicht länger die Füße still –
Soll heißen: Wir gewinnen Haltung
Durch Sinn, Zweck und heit’re Gestaltung.
Die blaue Blume mag stille blüh’n,
Derweil sich Alle um Licht bemüh’n –
Gemeinsam zu neuer Tat bereit:
In der Zeit, in der Zeit, in der Zeit!



Zum Geleit CXVII

Zur AS-Sitzung am 13. Oktober 2016

Der Akademische Senat muß sich damit beschäftigen, in welcher Verfassung die Uni ist. Die Unterfinanzierung ist eigentlich eine Katastrophe und wird durch engagierte Notfallkompensation von Mitgliedern auf allen Ebenen der Uni, von Lehrbeauftragten und durch nachdrückliche Verhandlungen mit der Wissenschaftsbehörde gerade so eben abgefedert. Dies bedeutet für den AS: Er muß sich politisieren, um im Interesse einer sinn- und perspektivbildenden Aufgabenwahrnehmung von Bildung und Wissenschaft auch stadtpolitisch wieder stärker wirksam zu sein. Dafür ist eine Verbesserung der Partizipation der Uni-Mitglieder nötig. Eine verbesserte Wahlordnung für die Akademischen Gremien – auch für die seit 2014 wiedererrungenen Fachbereichsgremien – soll dafür hilfreich sein.
Zugleich wendet sich der AS an die Universitätsmitglieder mit einem Aufruf gegen Rechts anläßlich des nahenden Jahrestags der Reichspogromnacht.
Immer sollte gelten: Es zählt das gute Argument!

Vitale Gedanken

1) Alternative

„Ängstlich zu sinnen und zu denken, was
man hätte tun können, ist das Übelste, was
man tun kann.“
(253)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.

Beherzt zu sinnen und zu denken, wie sich aus Fehlern lernen läßt (Geschichte), gehört zu dem Produktivsten, was sich tun läßt.

2) Motivierte Expansion

„Wir müssen uns bemühen, klarer zu sehen. Wir müssen unsere Grenzen kennenlernen. Grenzen sind nicht immer bloß ein negatives Element, sie können auch eine Kraft bedeuten.“

Frederico Fellini, „Ein Gleichgewicht zwischen Fühlen und Denken“, 1978.

Man muß Enge nicht mögen. Wer sie abschüttelt, entdeckt neue Wege und erkennt die Nachbarn.

3) Bewegung

„Theater
Ins Licht treten
Die Treffbaren, die Erfreubaren
Die Änderbaren.“

Bertolt Brecht, Gedichte 1953-1956.

Auf der Bühne geht die Handlung voran. Die Figuren haben Entwicklung. Der Applaus gilt – mit Übereinstimmung – dem Verlassen des Elends.

4) Reflektierte Aktion

„Du bekommst einen Brief, der dich maßlos
erbittert? Beantworte ihn sofort. In der
ersten Wut. Und das laß drei Tage liegen.
Und dann schreib deine Antwort noch mal.“

Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.

Die Bedrängnis ist alltäglich. Der Ärger verständlich. Er läßt sich orientieren. Der Disput wird produktiv. Veränderungen bekommen Sinn und Gestalt.



Zum Geleit CXVIII

Zur AS-Sitzung am 17. November 2016

In den USA ist der Trump – knapp – gewählt. Ein heilsamer Schrecken?
Die Spannung zwischen kleinlicher Vergrabenheit in dem je eigenen Kram und der wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung wissenschaftlicher Aufklärung und humanistischer Positionierung ist groß und führt zu kontroversen Diskussionen mit ambivalenten Ergebnissen: Gegen die Unterfinanzierung will man sich gemeinsam engagierter und qualifizierter öffentlich wenden. Für eine entschiedenere Infragestellung des „Bologna“-Systems mit seinen anpassungsorientierten Vorgaben aber sind noch weitere, gründlichere Erörterungen nötig.
Eine befreiende Haltung könnte sein:

Engagierte Rationalität

„Wir wollen kämpfen mit Haß aus Liebe. Mit Haß gegen jeden Burschen, der sich erkühnt hat, das Blut eigener Landsleute zu trinken, wie man Wein trinkt, um damit auf seine Gesundheit und die seiner Freunde anzustoßen. Mit Haß gegen einen Klüngel, dem übermäßig erraffter Besitz und das Elend der Heimarbeiter gottgewollt erscheint, der von erkauften Professoren beweisen läßt, daß dem so sein muß, und der auf gebeugten Rücken vegetierender Menschen freundliche Idyllen feiert. Wir kämpfen allerdings aus Liebe für die Unterdrückten, die nicht notwendigerweise Proletarier sein müssen, und wir lieben in den Menschen den Gedanken an die Menschheit.“

Kurt Tucholsky, „Wir Negativen“, 1919. (Für die damalige „Weltbühne“.)

1) Ausgangspunkt

Frieden

Ganz frei von Waffen,
das ist der zivile Weg,
der zu gehen ist.

2) Kontrapunkt

Wider die Brutalität

Wer sich jäh auflehnt
wider die Einschränkungen,
hat den Kurs bestimmt.

3) Haltungspunkt

Sicher

Stete Geneigtheit
zur Kooperation ist
keinesfalls schwankend.

4) Höchster Punkt

Lebensfreude

Lachen
verbreitet die Erkenntnis,
daß Entfaltung naht