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Dokumentation von Grundsatzpapieren zur Arbeit des Akademischen Senats (AS) aus dem Jahre 2010

„Zum Geleit“

Hinaus – ins Licht!

„Jeder Zusammenbruch bringt intellektuelle und moralische Unordnung mit sich. Man muß nüchterne, geduldige Leute schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.
Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“

Antonio Gramsci, Gefängnishefte, H. 28, §11, 2232.



Inhalt

0. Editorial
I. Zum Geleit LV – Wer will es gewesen sein? oder Einer verschiebe dem anderen die Last
II. Zum Geleit LVI – Sackgassen sind nur durch Umkehr zu verlassen
III. Zum Geleit LVII – Courage ist die Mutter der Porzellankiste. Ein philosophischer Vorschlag zum Handeln
IV. Zum Geleit LVIII – Was kommt auf die Bühne? Eine Allegorie
V. Zum Geleit LIX – Wissen, oder nicht?
VI. Zum Geleit LX – Die Richtung des Verstandes: Freiheit, Gleichheit, Solidarität.
VII. Zum Geleit LXI – Leitkultur? Eine Erinnerung
VIII. Zum Geleit LXII – Was ist Politik?
IX. Zum Geleit LXIII – Und den Menschen ein Wohlgefallen


0. Editorial

„Nun geht es weiter; nächste Episode! Fragt sich nur, in welche Richtung es weitergeht. Das hängt von uns ab; an jedem Wendepunkt hat man die Wahl.“

Klaus Mann, „Der Wendepunkt“, 1947.

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der (neoliberale) Kapitalismus ist in einer Legitimationskrise, weil er die Menschheit in eine Zivilisationskrise gebracht hat. Weder in Afghanistan, noch für die „öffentliche Hand“ der Hansestadt noch für das Leben und Lernen an der Universität hat die Verbindung von Konservatismus und Kommerz Gutes bewirkt. Gutes von „Oben“ gibt es nicht.

Eine stimmige programmatische Alternative zu dem Desaster (und kurzatmigen Versuchen, es zu mildern) muß daher demokratisch entwickelt und verwirklicht werden.

Die Universität als produktive Einheit vielfältiger analytischer Welt- und Menschenerkenntnis und als kollegiale Einrichtung gesellschaftlicher Aufklärung sollte Impulsgeberin für dabei sozial vernünftige Lebensverhältnisse (auch: Frieden) werden. Der Akademische Senat als höchste Wahlgremium der Uni hat dafür Verantwortung.

Allerdings sind allerhand Zerstörungen und Vergiftungen von über 20 Jahren Unterfinanzierung und 9 Jahren politischer Verherrlichung des Marktes, des Prestiges und der Schnellebigkeit zu überwindende Hindernisse auf diesem Wege.

Das ist vor allem Gedächtnis-, Gedanken- und Gesprächsarbeit.

Auf welche historischen Erfahrungen und Errungenschaften läßt sich im Positiven zurückgreifen, um Maßstäbe und Wege für Verbesserungen auf Höhe der Zeit zu finden?

Welche Bedingungen und Möglichkeiten finden wir vor?

Welche Gegnerschaft ist ernstlich zu berücksichtigen?

Welche Hürden sind zu nehmen?

Und wer ist zu überzeugen?

Die „Geleite“, die wir in dieser Broschüre dokumentieren, sind programmatische Schriften, die wir anläßlich jeder Sitzung des Akademischen Senats zur gemeinsamen Orientierung verfassen und publizieren. Hier wird eine Haltung – mit literarischen, künstlerischen, politischen und wissenschaftlichen – Vorbildern gestaltet, die kämpferisches humanistisches Eingreifen ermöglicht. Jedem „Geleit“ ist hier eine kurze Einordnung in den Arbeitszusammenhang des Akademischen Senats vorangestellt. So ist auch ein Überblick über die Tätigkeit dieses Gremiums möglich*.

Das „Bündnis für Aufklärung und Emanziaption (BAE!)“ als Zusammenschluß fortschrittlicher studentischer Gruppierungen an der Universität Hamburg möchte damit gegen den Muff der Restauration ungebremster ökonomischer Verwertung von Mensch, Kultur und Wissenschaft zur Entfaltung einer solidarischen, sozial progressiven und couragierten Praxis ermuntern und ermutigen. Heiter geht besser.

Die zivilisatorischen Potentiale menschliche Denkens und Wirkens müssen erkannt, entwickelt und verallgemeinert werden. Nichts Besseres hat die Universität zu tun.

Wir wünschen anregende Lektüre!

Liste LINKS, harte zeiten – junge sozialisten, Fachschaftsbündnis
(Das Bündnis für Aufklärung und Emanzipation – BAE!)

* Die Beschlüsse des Akademischen Senats dokumentieren wir in einer eigenen Broschüre, auch zu finden unter: www.bae-hamburg.de/artikel_65.html


I. Zum Geleit LV

Zur AS-Sitzung am 4. Februar 2010

Das vorausgegangenen Jahr war weltweit ein Jahr der Krise; nicht nur ökonomisch, sondern der ganzen menschlichen Gesellschaft. Auch die Uni ist gründlich durchgeschüttelt worden, weil das betriebswirtschaftliche „Top-down“ scheitert, aber nicht von alleine die Bühne verläßt. Es gäbe guten Grund, für die Mitglieder des Akademischen Senats gesellschaftlich, zumindest aber institutionell verantwortlich zu denken und zu handeln. Das wird aber (noch) abgewehrt. Die Stellungnahme zur Novellierung des von einer CDU-Schill-Regierung mißstalteten Hochschulgesetzes fällt nahezu zahnlos aus: Man verteidigt den aufgesetzten Hochschulrat, kann zwischen öffentlicher Verwaltung und akademischer Selbstverwaltung als Möglichkeit wissenschaftlicher Souveränität nicht unterscheiden und hält Studienreform für marginal. Dennoch: Unter dem Druck studentischer Aktivitäten fordert der AS: Die Studiengebühren – inklusive der Verwaltungsgebühren – sollen abgeschafft werden; der Präsident/die Präsidentin möge vom AS gewählt werden; unterhalb der Fakultätsräte soll es gruppenübergreifende Gremien geben; die Berufungskommissionen seien wieder zu wählen und nicht vom Dekanat einzusetzen. Ein noch zu kleiner Fortschritt ...

Wer will es gewesen sein?

oder

Einer verschiebe dem anderen die Last

1) „Bild am Montag“

„Die Materie ist so hochkomplex wie die früher so gern verkauften Finanzprodukte – und zudem juristisch umstritten: Gier ist allein so wenig strafbar wie Dummheit. Und Risiken gehören zur Grundlage des Bankgeschäfts.“

Autorenkollektiv, „Sehnsucht nach Sühne“, „SPIEGEL“ 5/2010, S. 66.

Die kranke bzw. heilenswerte Welt erscheint manchen halbwegs Wohlbezahlten – im Rahmen von Anzeigen für Manager-Magazine und Fluggesellschaft – so unübersichtlich, daß zwischen dem Brotdrang von Hungernden und der Lüsternheit nach Boni und Börsenpunkten nicht notwendig oder gar hinreichend unterschieden werden kann.
Dummheit selbst ist die Strafe. Hochkomplex.

2) Der Mehrheit die Mehrheit

„Die Bestimmung über die ministerielle Verantwortung, weit davon entfernt, eine unbedeutende Phrase zu sein, befähigt die Abgeordneten, über den Staatsgerichtshof sogar jeden Minister abzusetzen, der für schuldig erklärt wird, irgendeinen Beschluß der Legislative falsch ausgelegt zu haben.“

Karl Marx, „Unruhe in Deutschland“ [über die hessische Verfassung von 1831], 1859; Marx/Engels Werke (MEW), Bd. 13, S. 536.

Die größte Übereinstimmung zwischen „Volk“ und Regierung besteht – idealerweise – in der Realisierung des Allgemeinwohls. Frieden, zivile Produktion und Heiterkeit stehen hier an erster Stelle.
Bei möglichen Unstimmigkeiten sind erforderliche Änderungen in Bewußtsein, Handlungsweise und Strukturen zu schaffen. Wohl-Sein selbst ist der Lohn.

3) Die Minderheit gegen die Mehrheit

„Gekrochen einst mit Herz und Hand
Dem Vaterland auf den Leim
Belohnt mit dem Sarge vom Vaterland:
Jedem Krieger sein Heim!“

Bertolt Brecht, „Zu Potsdam unter den Eichen“, Lieder und Chöre 1934.

Wer sich vereinzeln läßt, geht – romantisch gestimmt oder realpolitisch – für das „Große und Ganze“ gemeinsam mit den anderen Einzelnen unter.
Leim bleibe daher für lästige Fliegen und wackelige Stühle.

4) Die bekömmliche Stellung der Mundwinkel

„Vielleicht sollten wir es darum mit Lessing halten, der seiner Minna von Barnhelm einen wunderbaren Satz in den Mund gelegt hat: ›Das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruss.‹
Damit wurde ein Bild von der Aufklärung in die Welt gesetzt, das ihr alle Zornesröte nimmt; die Vernunft nicht als die Schwester des autoritären Eifers, sondern der antiautoritären Heiterkeit.“

Sir Peter Ustinov, „Achtung! Vorurteile“, 2003, S. 48.

Die Erkenntnis besserer (verdeckter) Möglichkeiten fördert das Verständnis für Seinesgleichen.
Der ambitionierte Hinweis auf die Entfaltung ruft ein Lächeln hervor. Das in der Menge fortgepflanzte Gelächter gibt dem Kaiser wenig zu lachen. Man reiche ihm eine Decke und schicke ihn in Pension.

Hamburg, den 3. Februar 2010


II. Zum Geleit LVI

Zur AS-Sitzung am 15. April 2010

Der Akademische Senat ist neu gewählt. Das BAE! begrüßt die Rekultivierung demokratischer Selbstverwaltung und verantwortlicher Wissenschaftspolitik.
Dabei wird auch der neue Uni-Präsident, Dieter Lenzen, so mit Hamburg als politischer Kategorie vertraut gemacht: mit demokratischer Diskussionsfreude und linker Kritik, sozialen Maßstäben und antimilitaristischem Engagement, mit Aufklärung und Emanzipation in einem weiten Bündnis humanistisch Engagierter.
So lassen sich auch demokratische Errungenschaften – z.B. die Vorbereitung von AS-Sitzungen durch inhaltlich arbeitende Ausschüsse – rasch wiederbeleben.
Spürbar sitzt vielen Mitgliedern des Akademischen Senats noch die autoritäre Geisterbahn der vergangenen Jahre in den Knochen.
Wie ist der teilweise selbstverantwortete Schaden zu heilen?

Sackgassen sind nur durch Umkehr zu verlassen

Es hieß einst, Bildung tut dem Standort gut,
Wenn man sie kräftig reformieren tut.
So sprach der König Frosch in seinem Tümpel,
Der Geist von 68 sei Gerümpel.

Die neue Ordnung, eigentlich die alte,
Von Bertelsmann sogleich der Segen walte,
Bestückt mit Dekan/Dekanin in den Fakultäten,
Geleitet nach rein rechnerischen Bonitäten.

Betriebswirtschaftlich sind auch die Gebühren;
Sie sollen Studiker zu Markte führen.
Gleichfalls der Master mit dem Bachelor –
Sie kommen allen doch recht marktisch vor.

Hinzu treibt STINe, dieses strenge Mädchen,
All die Geplagten durch das Hamsterrädchen.
Wer brav nicht seine Runden macht,
Kriegt Ordnungshiebe, bis sie lacht.

Da haben wir nun gänzlich den Salat,
Soll heißen: Katastrophe im Quadrat.
Die Wissenschaft, nach eigenem Prinzip der Menschheit Gute,
Gedeiht recht spärlich unter Wirtschaftsnorm und harter Knute.

Wer wissen will, was wirklich wieder Welten weitet,
Der fair human den aufgeklärten Weg beschreitet.
Der braucht die produktive Muße ohne Not,
Das ABC, das Einmaleins – und etwas Brot.

Daher läßt sich die ganze Chose wohl so fassen:
Sackgassen sind nur durch Umkehr zu verlassen.

Hamburg, den 9. April 2010


I. Zum Geleit LVII

Zur AS-Sitzung am 20. Mai 2010

Seit dem Juli 2008 wabert die Schnapsidee von der Verlagerung der Universität in den Hafen durch die Öffentlichkeit und die Universität. Aufgebracht hat sie die sogenannte Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU), inneruniversitäre Unterstützung hatte sie eigentlich nur durch die kurzzeitig regierende Uni-Präsidentin Auweter-Kurtz (ebenfalls CDU) und gefördert wurde dieses Vorhaben vor allem von der Bau- und Immobilienbranche.
Bisher hatte sich die Universität zwar vielstimmig, aber noch nicht durch den Akademischen Senat für den Verbleib im „Herzen der Stadt“ ausgesprochen.
Das sollte nun gelingen. Die lebendige Entwicklung des demokratisch-antifaschistischen und sozialkritische Erbes der Universität – auch baulich verwirklicht, ihre weitere Zusammenführung und Erweiterung „im Grindel“ und die selbstbewußte demokratische Beteiligung der Universitätsmitglieder und der Öffentlichkeit wurden vom AS ins Auge gefaßt. Auf dieser Basis gelang dann auch der Durchbruch in der Bürgerschaft.
Der AS faßt sich ein Herz. Gegen den Strich:

Courage ist die Mutter der Porzellankiste

Ein philosophischer Vorschlag zum Handeln

1) Was sein kann

„Die Möglichkeit ist nicht die Wirklichkeit, doch auch sie ist eine Wirklichkeit: daß der Mensch eine Sache tun oder lassen kann, hat seine Bedeutung, um zu bewerten, was wirklich getan wird. Möglichkeit bedeutet ›Freiheit‹. Das Maß der Freiheit geht in den Begriff des Menschen ein. Daß es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und daß dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10 (1932-1935), § 48: „Einführung ins Studium der Philosophie“.

Das Gebiet der „Freiheit“ ist derzeit besetzt von den Börsen der fiebrigen Finanzwelt. Derweil fließt das Öl ins Meer; Brot gelangt bei weitem nicht in alle bedürftigen Hände.
Nur eine Gleichzeitigkeit?

2) Sich lösen

„Wer hat das Fragen aufgebracht?
Unsere Not.
Wer niemals fragte, wäre tot.
Doch kommt’s darauf an, wie jemand lacht.“

Joachim Ringelnatz, „Mißmut“, 1933.

Der Alltag ist in hohem Tempo grimmig.
Halt!
Lachen kann: Erschüttern (was als fest gilt), Festigen (was unsicher ist), Anstecken (was resistent scheint), Aufhellen (was dunkel droht) und der Bewegung neues Maß und neue Richtung geben.

3) Der Lüge widersprechen

„Wenn der Mensch ›Loch‹ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.“

Kurt Tucholsky, „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“, 1931.

Die Tatsache, daß ein X kein U ist, ist weithin anerkannt.
Wer aber sagt nicht nur, daß der Kaiser nackt ist, sondern auch nutzlos, teuer und von gestern?

4) Vertrauen

„Wie lange
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen
Verfallen sie nicht.“

Bertolt Brecht, „Über die Bauart langandauernder Werke“, Gedichte 1930-1934.

Werke – Bauten – sind Gemeinschaftsaufgaben, die, wenn sie vernünftig ersonnen, gemacht und genutzt werden, ihre sorgfältige Verteidigung finden.
Manche denken bei Loch auch an Hafen.

Hamburg, den 20. Mai 2010


IV. Zum Geleit LVIII

Zur AS-Sitzung am 10. Juni 2010

Vizepräsidenten soll nun gewählt werden, nach Vorschlag des neuen Präsidenten und in Kontinuität des bisherigen Präsidiums. Wird aus den Fehler der vergangenen Zeit – allgemeinpolitische Abstinenz, Kniebeugen nach den ökonomistischen Vorgaben der Behörde, Partizipation nur als dünnes Mäntelchen – für alle sinnbringend gelernt?
Die erforderlichen Themen sind klar bestimmt. Die Leitung sei aufgeklärten Prinzipien geschichtsbewußter, gruppenübergreifend demokratischer und international sozial verantwortlicher Selbstverwaltung der Universität nach Innen und nach Außen verpflichtet. Das muß weitreichende Konsequenzen für Kooperation im Präsidium und mit dem AS, für die „Reform der Ba/Ma-Reform“, für die Abschaffung von Studiengebühren und die Verbesserung der Ausstattung der Universität haben. Auf die Haltung im Zusammenspiel kommt es an. Lernen ist immer möglich.

Was kommt auf die Bühne?
Eine Allegorie

1) Das schlechte Extrem

„Manches Theater wurde im Dritten Reich und vor allem im Kriege zu einer Oase. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Hitler und seine Paladine mit der Kunst schmückten. Freizügigkeit wurde nur geduldet, solange sie dem Regime nutzte, besonders gegenüber dem Ausland. Gute Leistungen des Theaters, einzelne hervorragende Aufführungen ließen die brutale Diktatur in freundlicherem Licht erscheinen, trugen zumindest für einige Zeit dazu bei, sie salonfähig zu machen. Nicht ohne Grund saßen Hitler und seine Paladine bei Premieren in der Ehrenloge.“

Inge Stolten, „Das alltägliche Exil/Leben zwischen Hakenkreuz und Währungsreform“, Bonn 1982, S. 41.

Die Theater – und nicht nur sie – waren weitgehend „gesäubert“ eingeordnet und „erzogen“. Auch auf sie fielen letztlich die Bomben. Die Geschichte lehrt, daß die Freiheit der Kunst bedingt ist.

2) Wirksames Spiel

„Der Spieler braucht nicht in die Illusion versetzt zu werden, daß er sich in der richtigen Welt befinde, aber es muß ihm bestätigt werden, daß er sich in einem richtigen Theater befindet. Gute Proportionen, schönes Material, sinnvolle Einrichtungen und gute Arbeit der Requisiten verpflichten den Schauspieler.“

Bertolt Brecht, „Über den Bühnenbau der Nichtaristotelischen Dramatik“, in: „Schriften zum Theater“, 1933-1947.

Auf der Bühne ist’s wie im Leben vor der Tür: Gute Bedingungen schaffen gute Arbeit.
Diese Bedingungen müssen aber wiederum geschaffen werden. Das ist menschlich.

3) Grundsätzlich praktische Vernunft

„Würden sich also die Großmächte mit einer zwei- oder höchstens dreifachen Zerstörung des Erdballs als Abschreckungspotential zufriedengeben, ließen sich Hunger und Krankheiten mit Leichtigkeit besiegen; aber nein, offensichtlich liegt in der Logik keine Sicherheit, sondern nur im Absurden. Deshalb sterben Tausende, nicht durch Kanonenschüsse, sondern weil es Kanonen gibt.“

Sir Peter Ustinov, „Ich und Ich/Erinnerungen“, 2004, S. 205f.

Wer das Spiel ernst nimmt, kümmert sich im Wechselbezug um ein besseres Leben für Alle. Jede Rolle bekommt so ein deutlicheres Gesicht.
„Entwaffnend“ hat eine umfassende Bedeutung.

4) Eingeschüchtert?

„Herr von Gänsewitz zum Kammerdiener
Befehlt doch draußen, still zu bleiben!
Ich muß itzt meinen Namen schreiben.“

Gottfried August Bürger, 1780.

Die Gespreiztheit ist eine Form, die nicht daran hindern sollte, in hellem Gelächter sich zu erfrischen. Verstand braucht Licht.

Hamburg, den 8. Juni 2010


V. Zum Geleit LIX

Zur AS-Sitzung am 8. Juli 2010

Der Akademische Senat hat die StudiendekanInnen der Fakultäten zum Bericht über den Stand der „Reform der Reform“ eingeladen. Von Bologna-Enthusiasmus ist nirgendwo eine Spur. Aber die wesentlichen Erfordernisse – die Erneuerung verantwortlicher Bildung und Wissenschaft aus den Fächern in einem föderativen Gesamt, die Behebung der Unterfinanzierung, die Abschaffung der willkürlich zusammengezimmerten Regelstudienzeiten, Module und aller Zulassungshürden sowie der Notendiktate – werden in den Leitungsgremien kaum ernsthaft angegangen. Hier ist eine erhebliche Intensivierung von Kritik und Engagement aller Universitätsmitglieder sinnvoll.

Wissen, oder nicht?

1) Erkennbare Tatsachen

„Sagt man Wahrheit, so sagt man auch Freiheit und Gerechtigkeit; spricht man von diesen, so meint man die Wahrheit.“

Thomas Mann, „Vom kommenden Sieg der Demokratie“, 1938.

Demokratie ohne Wahrheit ist wie Salz ohne Suppe.
In Wahrheit ist die Welt nicht in einem guten Zustand.
Die Spekulation auf Getreide ist schlecht für die Ernährung.

2) Gedankenfinish

„Der Aberglaub, in dem wir aufgewachsen,
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
Doch seine Macht nicht über uns. – Es sind
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.“

Gotthold Ephraim Lessing, „Nathan der Weise“, Vierter Aufzug/Vierter Auftritt („Tempelherr“), 1779.

Der Schmerz am Knöchel ist unschwer lokalisierbar. Man sollte sich nicht einreden lassen, das klirrende Etwas sei schmückend.
Auch ist möglich, Hilfe zu mobilisieren, die Fessel zu lösen.
Ketten zu Alteisen.

3) Gemeinsamer Sinn

„Nicht nur der Glaube versetzt Berge: die Kraft des Wissens ist ganz ebenso zuverlässig. Das Wissen ist revolutionär. Wer mehr weiß, hat für die Unwissenden mitgelernt und lebt für ihre Befreiung, und selbst wenn er gerade das nicht wüßte.“

Heinrich Mann, „Geheime Schulen“, 1935.

Auch was das Lernen betrifft, soll (nach alter Dogmatik) an einer streng gegliederten Ordnung festgehalten werden: ganz Doofe, weniger Doofe und gebildete Diener.
Wer vom Menschen weiß, sollte diese Kasten auflösen.
Wir wollen wissen.

4) Was soll das Ganze?

„Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“

Heinrich Heine, „Deutschland – Ein Wintermärchen“, Caput I, 1844.

Viel Aufwand – auch an Universitäten – wird zu dem Zwecke betrieben, angeblich nachzuweisen, daß Bescheidenheit die erste und die letzte Vernunft sei.
Der entscheidende Schritt der Erkenntnis beginnt mit dem Einsehen, daß man hinter dem Horizont nicht von der Erde fällt.
Der Kern des Wissens besteht darin, sich nicht vertrösten zu lassen.

Hamburg, den 7. Juli 2010


VI. Zum Geleit LX

Zur AS-Sitzung am 9. September 2010

Der Erste Bürgermeister, Ole von Beust, ist zurückgetreten, Kurzfristig (und kurzlebig) wird Schwarz-Grün dennoch reanimiert. Es ist offenkundig, daß der Senat Mühe hat, auch nur arbeitsfähig zu werden. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß die umstrittene Senatorin Gundelach weiter für Wissenschaft zuständig sein soll. Sie ist nicht nur mit der absurden Uni-Verlagerung gescheitert, sondern verschleppt auch die notwendige Re-Demokratisierung des Hochschulgesetzes, beharrt borniert auf den Studiengebühren und hat keinen Begriff vom Lernen.
Da ist die Universität gefragt, dem Bedürfnis nach Verbesserungen verstärkt Ausdruck zu verleihen. Was anders werden soll, liegt in den Händen derer, die dies erkennen, wollen und mitteilen. Der Akademische Senat beschließt, nicht nur die geplanten Kürzungen nicht hinzunehmen, sondern auf demokratische Erweiterung zu drängen.
Mehr Bewußtsein für die Gleichheit menschlicher Belange sollte dafür entwickelt werden:

Die Richtung des Verstandes:
Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

1) Menschenmöglich

„Die Möglichkeit ist nicht die Wirklichkeit, doch auch sie ist eine Wirklichkeit: daß der Mensch eine Sache tun oder lassen kann, hat seine Bedeutung, um zu bewerten, was wirklich getan wird. Möglichkeit bedeutet ›Freiheit‹. Das Maß der Freiheit geht in den Begriff des Menschen ein. Daß es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und daß dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10 (1932-1935), § 48 „Einführung ins Studium der Philosophie“.

Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung von 2000 bis 2008, hat auf Grundlage von empirischen Daten der Vereinten Nationen hervorgehoben, daß weltweit eine Milliarde Menschen Hungers leiden und daß die menschliche Nahrungsmittelproduktion dafür reicht, die Weltbevölkerung zweieinhalbfach zu ernähren.

2) Menschengleich

„Und wenn jeder im Volke in den Stand gesetzt ist, sich alle beliebigen Kenntnisse zu erwerben, werdet ihr bald auch ein intelligentes Volk sehen.“

Heinrich Heine, „Geständnisse“, 1854.

Die Menschen sind gleich, indem sie bedürfen: Nahrung, Kleidung, Haus, Bildung, Musik (und dergleichen mehr) sowie die gemeinsame Bestimmung über die gemeinsamen Angelegenheiten.
Für diese Bedingungen ist zu arbeiten.

3) Menscheneinig

„General, der Mensch ist sehr brauchbar.
Er kann fliegen und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.“

Bertolt Brecht, „General, dein Tank ist ein starker Wagen“, „Svendborger Gedichte“, 1939.

Wenn die Denkenden sich mitteilen und sich neu handelnd orientieren, ist der Krieg an sein Ende gekommen.
Die Zivilisation kann wirklich beginnen.

4) Menschenfroh

„In der Gestalt des Politischen ist uns heute die Frage des Menschen selbst mit einem letzten und lebensgefährlichen Ernste gestellt, die frühere Zeiten nicht kannten,- und gerade dem Dichter, welcher doch von Natur und Schicksals wegen jederzeit den exponiertesten Posten der Menschheit innehat, sollte es erlaubt sein, sich vor der Entscheidung zu drücken?“

Thomas Mann, „Spanien“, 1937.

Sich zu drücken – vor Erkenntnissen, Konsequenzen, Handlungen und Konflikten, auch vor entscheidend neuen Möglichkeiten und Wirkungen – ist eine selbstverschuldete Beschränkung.
Freude entsteht, wenn es gelingt, sich von Verklemmungen zu verabschieden.
Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

Hamburg, den 7. September 2010


VII. Zum Geleit LXI

Zur AS-Sitzung am 21. Oktober 2010

Das Establishment der Bundesrepublik beharrt bockig auf der sozialen Ungleichheit. Sogenannte Sparpakte werden auf den Weg gebracht. Ein Ex-Bundesanker wühlt den sumpfigen Tümpel der Vorurteile auf.
Die Universität soll zwar in Eimsbüttel baulich erweitert werden, die Kosten aber auch aufgelastet bekommen. (Unmöglich.)
Der Akademische Senat – für die Universität – muß Position beziehen. Die Studiengebühren werden erneut begründet abgelehnt. Die Hochschul-(bau-)Finanzierung soll staatliche und demokratisch kontrollierte Angelegenheit bleiben. Und in Hinblick auf den Jahrestag des Novemberpogroms wird aufgerufen, „couragiert und frühzeitig jeder Entwertung und Ausgrenzung von Menschen aufklärerisch entgegenzuwirken und sich in den Dienst von Wahrheit, Humanität und Demokratie sowie des Friedens zu stellen.“
Das Lernen aus der jüngeren und älteren Geschichte orientiert das Denken.

Leitkultur?

Eine Erinnerung

1) Der Beginn

„Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.“

Heinrich Mann, „Der Untertan“; vollendet 1914, erschienen 1918.

Verschüchtert durch böse Fabeltiere in den Erzählungen der Mutter, gezüchtigt durch den Stock des Vaters, umarmt von strenger Erziehung in der Schule, durch die Neuteutonen während des Studiums der „Kultur“ des Schlagens und Saufens nahegebracht: Herr Heßling war ein strammer Untertan geworden. So waren zwei Weltkriege möglich. Nötig?

2) Der Körper

„Braust drei Hepp-hepps und drei Hurras
Um die deutschen Eichenbäume!
Trinkt auf das Wohl der deutschen Frauen ein Glas,
Daß es das ganze Vaterland durchschäume.
Heil! Umschlingt euch mit Herz und Hand,
Ihr Brüder aus Nord-, Süd- und Mitteldeutschland!
Daß einst um eure Urne
Eine gleiche Generation turne.“

Joachim Ringelnatz, „Turnermarsch“, 1920.

Wer das Wort „Ertüchtigung“ hört, nehme doch bitte Haltung an, d.h. eine feindselige. Danach ist Gelächter möglich. Ihm folgt eine entspannte Haltung mit erfreuten Gliedmaßen. So läßt sich besser regen.

3) Sehen, was ist

„Wenn der Mensch ›Loch‹ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch, manche an Goebbels.“

Kurt Tucholsky, „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“, 1931.

Es gibt viel Gerede zwischen Himmel und Erde. Von bösen Muselmanen (die bekanntlich auch zu viel Kaffee trinken), von ordentlichen und fleißigen Deutschen sowie vom Segen der Bravheit.
Das meiste davon ist hohl und riecht auch streng.
Man sollte das sagen und weitergehen.

4) Ansprüche

„Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“

Heinrich Heine, „Deutschland – Ein Wintermärchen“, Caput I, 1844.

Geiz ist geil – mitnichten. Niemand lasse sich vertrösten. Daran ist stets etwas faul. Leben ist wichtig.
Jetzt. Später. Immer.

Hamburg, den 20.10.2010


VIII. Zum Geleit LXII

Zur AS-Sitzung am 18. November 2010

Der Akademische Senat muß sich neu zugewachsener Verantwortung stellen. Wo „die Politik“ – also die staatliche Verwaltung nach den Vorstellungen der Handelskammer – permanent versagt, sind vernünftige Ideen und demokratische Akteure gefragt. Wie werden die guten Beschlüsse für die Erhöhung des Etats der Universität, die Abschaffung der Studiengebühren, demokratisches Bauen und vernünftige Wissenschaften gesellschaftlich durchgesetzt?
Eine alte Frage neu gestellt:

Was ist Politik?

1) Verlassen der Isolation

„Denn der einzelne kann sich mit all denen zusammenschließen, die dieselbe Veränderung wollen, und wenn diese Veränderung vernünftig ist, kann der einzelne sich in einem imponierenden Ausmaß vervielfachen und eine Veränderung erzielen, die viel radikaler ist, als es auf den ersten Blick möglich erscheint.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10 (1932-1935), § 54 „Einführung ins Studium der Philosophie. Was ist der Mensch?“.

Das Kämmerchen, als Ort in dieser Welt,
Ist still und klein – was Erna nicht gefällt.

2) Die Verneinung des Gegenteils

„Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!“

Wolfgang Borchert, „Dann gibt es nur eins!“ 1947.

Der Krieg hat viele Facetten. Er beginnt damit, daß ein Menschenleben weniger wert ist als ein anderes. Wer sich daran nicht beteiligt, nimmt eher bessere Aufgaben wahr.

3) Rechte und Pflichten

„Die einen haben das ›Recht‹, für das Vaterland sterben zu dürfen, andre ›dürfen‹ zu Hungerlöhnen arbeiten – wobei denn wieder andre die saure Pflicht haben, vierundzwanzig Aufsichtsratsposten bekleiden zu müssen.“

Kurt Tucholsky, „...zu dürfen“, 1930.

Trotz aller laut und leiser inszenierten Leugnungen läßt sich ein gewisses Oben und Unten nicht verhehlen. Da die Kluft zwischen beiden tiefer geworden ist, kann von einer Besserung der Welt nicht die Rede sein.
Das ist bei allen Überlegungen und Handlungen zunehmend zu berücksichtigen.

4) Entscheidung

„Erst wenn die Produktivität entfesselt ist, kann Lernen in Vergnügen und Vergnügen in Lernen verwandelt werden.“

Bertolt Brecht, „Nachträge zum ›Kleinen Organon‹“, 1954.

Aufstehen, Lüften, Durchatmen: Solidarität.
Wer wach aus dem Fenster blickt, kann sich anschließen.

Hamburg, den 17. November 2010


IX. Zum Geleit LXIII

Zur AS-Sitzung am 16. Dezember 2010

Schwarz- Grün ist vorbei. Neuwahlen sind absehbar. Ein Richtungswechsel in Kultur, Politik und sozialer Handlungsweise der Mehrheit – bzw. für die Mehrheit – erfordert allerdings etwas mehr. Für jegliche Verbesserungen sind die großen Fragen des menschlichen Lebens entscheidend. Für die große Politik sind es auch die sogenannten kleinen Leute. Der Akademische Senat nähert sich zögerlich der Aufgabe an, Gesamtverantwortung aus der Universität für die Gesellschaft zu übernehmen. Er ist dabei durch die Demonstration „Bildung und Kultur für alle – Geld ist genug da!“ ermuntert. Prüfsteinen für die Bürgerschaftswahl sollen nun erstellt werden. Auf welche „Botschaft“ kommt es an?

Und den Menschen ein Wohlgefallen

Klein Erna sprach zu Fritze klein -
Der tat sogleich erröten-:
Die Kriege sollen nicht mehr sein,
Genug mit all´dem Töten!

Der Fritz, einst groß, nun klein geworden,
Gab Antwort gern bereit:
Auch er, der Jung´, halt´ nichts von Orden,
Das wäre nicht gescheit.

Das Öl, der Krieg, die Mafia -
Im Ganzen wohl gewogen -
Sind nicht für die Entwicklung da,
Zuhause wird gelogen.

Wenn traut ein Paar ins Kriegsland reist
Und Kerner tut sie loben,
Die Frau im Camp die Suppe speist,
So wär´da was verschoben.

Der Krieg ist schlecht, es bleibt dabei,
Es fehlen Buch und Mütze.
Ich freue mich, wenn er vorbei
Und niemand mehr ein Schütze.

So hörte Erna, freute sich,
Daß kleiner Fritz sich traute,
Zu sagen, Krieg sei fürchterlich -
Und auf den Frieden baute.

Hamburg, den 15. Dezember 2010