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Primat Frieden

Zukunft durch die Rückkehr zu besseren Maßstäben


„Pazifismus in der Bundesrepublik: Impulsgeber, aber keine Staatsräson
Nach 1945 wurde der Nuklearpazifismus, verbunden mit Namen wie Albert Einstein, Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg, als radikale, aber zugleich wissenschaftlich rationale Begründung für den deutschen Pazifismus prägend. Ohne die fundierten Warnungen in der Erklärung der „Göttinger Achtzehn“ von 1957 und die scharfen Proteste auf der Straße wäre die Bundeswehr vermutlich heute mit Atomraketen ausgestattet. Zu Beginn der 1980er Jahre war es wieder das Zusammenspiel von wissenschaftlicher „Gegenexpertise“ über Atomkriegsfolgen und einer bis dato ungekannten öffentlichen Mobilisierung, das der bis dato größten außerparlamentarischen Bewegung der Bundesrepublik – gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa – auf die Beine half und zu einer messbaren Politikrelevanz des Pazifismus führte. In der Folge kam der sozialdemokratische Kanzler Helmut Schmidt, der den Nato-Doppelbeschluss maßgeblich mitverantwortet hatte, zu Fall, und sein Vorgänger Willy Brandt avancierte zum Hauptredner auf der Großdemonstration der Friedensbewegung im Bonner Hofgarten 1983. Mit den Grünen zog eine Partei in den Bundestag ein, die dies wesentlich ihren pazifistischen Wurzeln verdankte. So erlangte dieser „rationale Pazifismus“ zeitweise in Deutschland eine gewisse Deutungshoheit und beförderte zwischen den internationalen Hauptkontrahenten des Ost-West-Konfliktes ein Klima, in dem 1987 Ronald Reagan und Michail Gorbatschow mit dem INF-Vertrag das erste Abkommen über atomare Abrüstung unterzeichneten. Pazifistische Kernanliegen wie die Beilegung von Gewaltkonflikten durch Vermittlung, Verhandlungen und Vereinbarungen sowie die Absage an militärische Drohung und Waffeneinsatz kamen am Ende des Kalten Krieges in einem bestimmten Zeitfenster der Geschichte paradigmatisch zum Vorschein – sie blieben jedoch ein uneingelöster Gutschein auf die Schaffung einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung.“

Dr. Corinna Hauswedell (ehem. Mitherausgeberin des Friedensgutachtens, Leiterin von Conflict Analysis and Dialogue in Bonn [CoAD]), „Ausgemustert, aber unverzichtbar: Pazifismus in Zeiten des Krieges“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Nr. 2/´23, S. 63-68, hier S. 65f.

„Frieden [ahd. Fridu »Schutz«, »Sicherheit«, »Freundschaft«], Zustand eines verträgl. und gesicherten Zusammenlebens von Menschen auf versch. Ebenen. (…)
Im 20. Jh., besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, wuchs die Einsicht, dass sich Kriege in der Konsequenz gegen die Menschheit als Ganzes richten. Daraufhin engagierten sich die Friedensbewegung und die7Friedensforschung in verstärktem Maße. (…)“

Brockhaus, Gütersloh/München 2010, S. 2397f.

Bessere Zustände, wenn auch nicht voll befriedigend, gar nicht lange vergangen: Vor den 1990er Jahren galt für die bundesdeutsche Außen- und Militärpolitik eine halbwegs geschichtsbewußte Zurückhaltung in bezug auf die Teilhabe an westlicher (kapitalistischer) Machtpolitik.

Seitdem wird gesteigert die Außenpolitik auf pure Sicherheitspolitik (mit Zwang und Waffen) eingeengt. Die „Übernahme von Verantwortung“ bedeutet wesentlich politisches Handeln mit militärischen Mitteln – im Einsatz, als Drohung oder Export von Waffen. Friedenspolitische Kategorien – wie sie das Grundgesetz an mehreren Stellen kodifiziert - als Vorrang kooperativer ziviler Entwicklung sind somit in den Hintergrund gedrängt. (Sie bleiben allerdings sichtbar als historische Erfahrung, wissenschaftliche Erkenntnis und normative Orientierung!)

Von daher wäre es zumindest rundum förderlich, zu den „alten“ Pfeilern bundesdeutscher Außenpolitik von vor 1990 zurückzukehren,
d.h. gegenwärtig anzuwenden: Multilateralismus und Westbindung plus Entspannungspolitik (never alone), geschichtsbewußt fundiertes aktives Werte- und Menschenrechtsverständnis (never again) sowie die perspektivreiche Skepsis gegenüber jeglicher Militärmacht (politics

before force). Das betrifft nicht zuletzt auch die
– zumindest – Einschränkung von Rüstungsexporten, da die Interessen und Bedürfnisse der Menschheit Vorrang vor den (Geschäfts-)Interessen der Rüstungsindustrie bzw. dem Hackenschlagen der Militärs oder dem pathetischen Bellizismus vieler Medien oder gewendeter PolitikerInnen haben sollten. Sicherheit gelte als ein gemeinsames globales Gut, welches jegliche Außenpolitik bestimmen sollte. Darin besteht die praktische strategische Kunst der Interessenvermittlung und des fairen Ausgleichs, besonders gegenüber ökonomisch schwächeren Staaten und Gesellschaften. Unverminderte Solidarität und die Bewältigung gemeinsamer Aufgaben (Ernährung, Ökologie, Bildung, Demokratie sowie sozio-ökonomische Entwicklung) stehen auf der allumfassenden menschlichen Tagesordnung. Die Delegitimierung von Gewalt aller Art sollte angenehm Raum greifen.

Zu diesen humanen Zwecken sind die Erkenntnisse, Erfahrungen und Ansprüche der Friedensund Konfliktforschung hilfreich und erforderlich. Jeder Krieg hat seine Ursachen. Frieden jedoch ist besser begründbar. Er fordert gleichwohl die substanziierte Bereitschaft zum zivilen Konflikt.

Keine Angst: Wer vernünftig ist, ist nicht alleine. Anders ist besser, besser kann überzeugen.