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„Zum Geleit“
„Die Ungleichheit ist da, für alle leicht zu erkennen, und sie bringt die Überzeugung der Reichen zum Ausdruck, daß der Reichtum einiger weniger die allgemeinen Standards mit sich ziehen wird. Ich bezweifle das.“
Sir Peter Ustinov, „Der Markt frißt seine Kinder“, 1. November 1997.
Inhalt
0. Editorial
I. Zum Geleit XXIX - Die ergrimmende Ungleichheit der Vertragspartner
II. Zum Geleit XXX - Zur Lage oder Was soll das Ganze?
III. Offener Brief - Die Präsidentschaft ist die Fortsetzung des Wahlverfahrens mit denselben Mitteln
IV. Zum Geleit XXXI - Übergenug oder die Konsequenz des Denkens
V. Zum Geleit XXXII - Fort mit der Mühsal oder Womit fast alle etwas anfangen können
VI. Zum Geleit XXXIII - Wer hat Angst vor der eigenen Wirkung? oder Das gedämpfte Lachen
VII. Zum Geleit XXXIV - Wer wagt die große Ambition: Frieden?!
VIII. Zum Geleit XXXV - Freiheit, zwecklich des Humanismus oder Wohin mit der ganzen Unruhe?
IX. Zum Geleit XXXVI - Mehr als die Abwesenheit von Krieg oder Die Entwicklung der Gedanken
0. Editorial
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
liebe Kolleginnen und Kollegen -
Die Universität ist durch das privat-ökonomische Diktat der „Wachsenden Stadt“ ziemlich gebeutelt. Dagegen - also gegen das kalkulierende Gebot der Verwertung, die vermeintlich unvermeidbare Ordnung des „Alle-gegen-Alle“ und im Widerspruch zu daraus gefolgerten persönlichen Versagungen - geht es triftigerweise immer um eines: ein vernünftiges Leben.
Anläßlich der Sitzungen des Akademischen Senats (AS) ist unsere Reihe „Zum Geleit“ ein Beitrag zur Selbstverständigung der Universität über allgemein nützliches Erkenntnishandeln: Sinn und Zweck der Wissenschaft ist die Überwindung aller Beschränkungen für eine menschenwürdige Welt. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ ist eine bedeutsame Quelle produktiven Verbesserungswillens. Die Gewalt - auch die des lächelnd eingesetzten Ellenbogens - ist erst aus der Welt, wenn sich Alle in solidarischer Gemeinschaft entfalten können.
Künste und Wissenschaften analysieren und deuten die Wirklichkeit, in die sie selber eingreifen. Sie schulen und schärfen den Blick für gesellschaftliche Tatsachen, deren erste der Mensch selber ist. Der geweitete Horizont, die Kooperation und die offene, engagierte Kontroverse machen die Übel überwindbar. Das ist die praktische Alternative zum sich Einrichten in einer miefigen Welt.
Der Akademische Senat als verbliebenes universitäres Gremium mit besonderer Gesamtverantwortung muß in dieser Weise entwickelt werden und wirken.
Nachdem wir im Frühjahr den Wiedereinzug in den AS knapp verfehlt hatten, haben wir dieses Ansinnen durch intensivierte Kooperationen, als „Öffentlichkeit“ im AS sowie durch Mitwirkung in den Ausschüssen engagiert weiterverfolgt.
I. Zum Geleit XXIX
Ein Unwetter zieht auf. Mit der konservativen Präsidentin Auweter-Kurtz und der neoliberalen Kanzlerin Vernau sind in der Leitung der Universität zwei Vertreterinnen des geschäftsmäßigen Pragmatismus eingesetzt worden, die funktional und persönlich-praktisch dem sozialen, demokratischen und zivilisatorischen Anspruch der Universität Hamburg („Leitbild“) entgegenstehen. Dieser Gegensatz wird in der Debatte um die Satzung zur Befreiung von Studiengebühren deutlich. Die große Mehrheit des AS votiert für mehr Transparenz und eine soziale Abmilderung der Unbill. Die Präsidentin unterbricht die Sitzung mit Verweis auf ein - in Hamburg - aufziehendes Schlechtwetter. Alle flüchten. Die Kontroversen bleiben.
Die ergrimmende Ungleichheit der Vertragspartner
1) Kein Verzicht!
„A-Politik, das bedeutet einfach Anti-Demokratie, und was das heißen will, auf welche selbstmörderische Weise sich der Geist dadurch zu allem Geistigen in Widerspruch setzt, das kommt erst in bestimmten akuten Situationen höchst leidenschaftlich an den Tag.“
Thomas Mann, „Kultur und Politik“, 1939.
Wir haben Exempel, warnend wie lehrend und wegweisend. Ihr Nutzen besteht darin, der Entsagung auf der Stelle entsagen zu können. Zu spätes Eingreifen steigert die Drangsal. Ein beherzter Schritt kann die Not wenden. Auch der Mut kennt Beispiele. Das Nein ist bisweilen ein Fortschritt.
2) Autonomie?
„Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur
Des Zopftums neuere Phase:
Der Zopf, der ehemals hinten hing,
Der hängt jetzt unter der Nase.“
Heinrich Heine, „Deutschland. Ein Wintermärchen“, Caput III, 1844.
Das Diktat schreitet nun smart daher, lächelnd von Ich zu Du, gebietend mit sachlichen Kapazitätsberechnungen. Die Unterwerfung sei ein technischer Vorgang, der freiwillig vollzogen werden soll. Die moderne Knechtschaft heißt: „Vereinbarung“.
3) Hintergründe
„An seinen Gedanken liegt uns unendlich mehr als an seinen Taten, und noch weit mehr an den Quellen seiner Gedanken als an den Folgen jener Taten. Man hat das Erdreich des Vesuv untersucht, sich die Entstehung seines Brandes zu erklären; warum schenkt man einer moralischen Erscheinung weniger Aufmerksamkeit als einer physischen?“
Friedrich Schiller, „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“, 1786.
Knebelverträge folgen dem Geist der puren Ökonomie, die nichts verpflichtet ist, als der seelenlosen Steigerung abstrakter Bilanzsummen. Der Wissenschaft geht’s so an die Gurgel. Wer hier von Demokratie spricht, ist der Wahrheit nicht verpflichtet.
Wer hier schmunzelt, irritiert brüchige Gewißheiten.
Aussichten
„Wir haben nunmehr vier Prinzipien der Moral
1. Ein philosophisches: Tue das Gute um seiner selbst willen, aus Achtung fürs Gesetz.
2. Ein religiöses: Tue es darum, weil es Gottes Wille ist, aus Liebe zu Gott.
3. Ein menschliches: Tue es, weil es deine Glückseligkeit befördert, aus Selbstliebe.
4. Ein politisches: Tue es, weil es die Wohlfahrt der großen Gesellschaft befördert, von der du ein Teil bist, aus Liebe zur Gesellschaft, mit Rücksicht auf dich...
Sollte dieses nicht alles dasselbe Prinzip sein, nur von andern Seiten angesehn?...“ (193)
Georg Christoph Lichtenberg, „Einfälle und Bemerkungen“, Heft L, 1796-1799.
Sinn, Wert, Maß und rationaler Gesellschaftsbezug der Wissenschaften sind souverän neu zu bedenken und zu bestimmen.
Der Kampf dafür ist ein menschlicher.
Der Beginn ist akut.
Hamburg, den 9. Januar 2007
II. Zum Geleit XXX
Auch bei Rotwein unter der Wärmedecke wollten die Probleme nicht schwinden. Die politische Kontroverse um die weitere Entwicklung muß aufgenommen werden. Damit die Klärung gelingt, müssen Eitelkeiten schwinden. Der Akademische Senat spricht sich erneut mit Mehrheit gegen die Studiengebühren aus und fordert von der Wissenschaftsbehörde und der Uni-Leitung eine verantwortliche Bearbeitung der sozialen Belange der Studierenden. Die eigentliche Ursache der Probleme, die Dominanz der Geschäfte, in Hamburg besonders forciert durch die Handelskammer und den ihr treuen CDU-Senat, wird jedoch nur von wenigen kritisch berührt. Die HochschullehrerInnen erhoffen sich Linderung eher von bürokratischen Ordnungen und dem Pochen auf ihren vermeintlich übergeordneten Status.
Zur Lage
1) Unausweichliche Hackordnung?
„Franz:
(...) Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten, Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze. (...)“
Friedrich Schiller, „Die Räuber“, erster Akt/erste Szene, 1781.
Frei von Skrupel, frei von Sinn, frei von Geschichte, frei von Alternative, frei von menschlicher Spezifik, frei von Muße, frei von sorgender Hand, frei von Lachen... - Frei?
Der Anzug kneift und die Seele schlottert.
2) Optionen der Vernunft
„Das Fräulein:
(...) Ich bin eine große Liebhaberin der Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. - Aber lassen Sie doch hören, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.“
Gotthold Ephraim Lessing, „Minna von Barnhelm“, zweiter Aufzug/neunter Auftritt, 1763.
Die bare Ökonomie kennt nur nackte Zahlen. Dem entsprechen die sogenannten Kennzahlen mit Absolventinnen und Absolventen, die Leistungspunkte sowie das Gehalt auf dem beruflichen Schlachtfeld der Ehre. Der Landgewinn wird in Kilometern und Barrel Öl gemessen.
Die Alternative in den Wissenschaften sind: Wirkliche Erkenntnisbildung, kooperative Entwicklung, humane Problemlösung und ein tiefes angewandtes Verständnis für heitere Elendsbeseitigung.
3) Position
„Wenn ein Unternehmer sich langweilt, dann ruft er die andern und dann bilden sie einen Trust, das heißt, sie verpflichten sich, keinesfalls mehr zu produzieren, als sie produzieren können, sowie ihre Waren nicht unter Selbstkostenverdienst abzugeben. Daß der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn haben muß, ist eine Theorie, die heute allgemein fallengelassen worden ist.“
Kurt Tucholsky, „Kurzer Abriß der Nationalökonomie“, 1931.
Wer stolzer Inhaber eines Ein-Euro-Jobs ist, kann für sich oder andere keine Studiengebühren zahlen.
Wer C4 oder W soundsoviel für einen natürlichen Erbvorteil hält, hat strukturelle Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung.
Demokratische Menschen sind an ihren begründeten Zweifeln zu erkennen.
4) Richtung
„Freilich, wenn ihr den Zweifel lobt
So lobt nicht
Das Zweifeln, das ein Verzweifeln ist!“
Bertolt Brecht, „Lob des Zweifels“, Gedichte 1934-1939.
Wissen bedeutet, dem Verfall zu widerstehen. Systematische Zerstörung von Errungenem gehört in die Tonne.
Mensch-Sein sei dagegen und eigentlich Frieden, Arbeit, Brot sowie drei gute Gedanken, zwei gute Taten und (mindestens) ein Lachen pro Tag. Die Erhellung gelte als Maßstab der stimmigen Verwirklichung
Hamburg, den 1. Februar 2007
III. Offener Brief:
Die Präsidentschaft ist die Fortsetzung des Wahlverfahrens mit denselben Mitteln
Thomas Mann sagte einmal, der Krieg sei nur das Hinter-die-Schule-Laufen vor den großen Verbesserungsaufgaben unserer Zeit. Im kapitalistischen Alltag entspricht dem funktional die vielfältig hilflose Machttaktik. In quasi-feudaler Eigenmächtigkeit hat die Präsidentin angesichts großer Aufgaben und Probleme der Universität (s.u.) die Märzsitzung des Akademischen Senats abblasen lassen. Hierauf unsere mahnende Erwiderung und das Geleit zur abgesagten Sitzung:
„Hamburg, den 15. Februar 2007
»Viel Rettungsmittel bietest du! was heißts?
Die beste Rettung: Gegenwart des Geists!«
Johann W. v. Goethe, Lyrische Dichtungen, Weimar 1810-1812.
Sehr geehrte Frau Auweter-Kurtz -
Sie haben bislang noch kein Programm vorgelegt (oder gar zur Diskussion gestellt).
Die Möglichkeit, das Zweifelhafte Ihrer Wahl (mit 9 zu 6 sehr knapp im Akademischen Senat) zu erörtern bzw. zu heilen, wurde (mit professoraler Mehrheit) von der Tagesordnung gestimmt. Das Zweifelhafte bleibt und mindert sich nicht von allein.
Mitteilungen des Präsidiums gegenüber dem Akademischen Senat (AS) sind auf seiner letzten Sitzung am
8. Februar unterblieben.
Sie haben während eines Redebeitrages einen Geschäftsordnungsantrag aufgerufen und abstimmen lassen. Beides ist regelwidrig und läßt sich getrost als »Reingrätschen« (ohne Ballkontakt) bezeichnen.
Mit dem Hinweis, Sie hätten das Recht dazu, haben Sie die nächste Sitzung des AS im März gecanceled. Das ist rückgängig zu machen.
Nach allem, was gut und richtig ist, haben Sie ehestens die Pflicht, einzuladen, zumal genügend wichtige Angelegenheiten (Unterfinanzierung, Studiengebühren, Bachelor/Master, »StiNE«, Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Kommentar zur Wigand-Rektorenschaft, ...) zu beraten sind. (Auch gewinnt man den Eindruck, Sie finden sich in die Rolle des »Tatsachen-Verkündens«.)
So viele Fragen, so wenig Antworten, allerlei zu behebende Versäumnisse.
Wir grüßen freundlich mit dem dringlichen Appell, eine demokratischere Kultur zu pflegen
Golnar Sepehrnia und Olaf Walther“
IV. Zum Geleit XXXI
Übergenug
1) „Verhunzung“
„Die griechische Sage erzählt von einem König Midas, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte. Daß es eine Berührung gibt, die alles, auch das Edelste, augenblicklich in Dreck verwandelt, das erleben wir heute: es ist der Nationalsozialismus, dem diese edle Gabe zuteil wurde. Alle Gedanken der Zeit, geboren aus Geist- und Zukunftswilligkeit, aus dem Wunsche nach Vervollkommnung des gesellschaftlichen Lebens, alles Gute und Wohlgemeinte reißt er an sich, stiehlt es, verbiegt, verdreht, verdirbt und verschmutzt es, verleiht ihm widerliche Mißgestalt, einen Geruch von Ekel und Hölle-, alles, was er anfaßt - und er faßt alles an, - wird unweigerlich in seinen Händen zu Kot und Unflat.“
Thomas Mann, „Deutsche Hörer!“, August 1942.
Reformen? Freiheit? Gerechtigkeit? Demokratie? Vernunft?
Wir leben in erheblich anderen Zeiten, als jenen einmalig barbarischen Zeitläuften - deren Wiederholung, auch im Kleinsten, umfassend zu hindern ist -, zu denen der engagierte Autor die trefflich scharfen Worte fand. Gleichwohl ist aus historischer Barbarei und kluger Gegenwehr aktuell und perspektivbildend zu lernen, daß mehr oder minder harte geistige Verdrehungen die Boten des Elends sind.
„Führung“ ist nicht Demokratie. Krieg ist nicht Frieden.
Not ist nicht natürlich, sondern zu wenden.
2) Wille, Richtung und Tat
„Verstand ich den Vorgang recht, so unterlag dieser Herr der Negativität seiner Kampfposition. Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen und überhaupt nicht mehr wollen, also das Geforderte dennoch tun, das liegt vielleicht zu benachbart, als daß nicht die Freiheitsidee dazwischen ins Gedränge geraten müßte, und in dieser Richtung bewegten sich denn auch die Zureden, die der Cavaliere zwischen Peitschenhiebe und Befehle einflocht, indem er Einwirkungen, die sein Geheimnis waren, mit verwirrend psychologischen mischte. ›Balla!‹ sagte er. ›Wer wird sich so quälen? Nennst du es Freiheit - diese Vergewaltigung deiner selbst? Una ballatina! Es reißt dir ja an allen Gliedern. Wie gut wird es sein, ihnen endlich den Willen zu lassen! Da, du tanzest ja schon! Das ist kein Kampf mehr, das ist bereits das Vergnügen!‹“
Thomas Mann, „Mario und der Zauberer“, 1930.
Wer hat den Willen zu gehorchen?
Wer sich umdreht oder lacht, bekommt den Buhmann gemacht.
Gute Ideen helfen sehr, sich nur unwesentlich zu erschrecken.
Wer ohne Ausnahme Verschlechterungen nicht will, muß für Verbesserungen wirken, da sich sonst die gute Idee der schlechten Wirklichkeit beugt - und der Mensch beugt sich gleich mit.
Das ist eine unbekömmliche Haltung.
3) Vergegenwärtigung
„Erbarmen wir uns der Kultur, aber erbarmen wir uns zuerst der Menschen! Die Kultur ist gerettet, wenn die Menschen gerettet sind. Lassen wir uns nicht zu der Behauptung fortreißen, die Menschen seien für die Kultur da, nicht die Kultur für die Menschen!“
Bertolt Brecht, Rede auf dem I. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, Juni 1935.
Wer seine Arbeit um der Arbeit willen macht
oder: weil man das eben gerade so tut
oder: es in der Zeitung steht
oder: der Nachbar schief guckt
oder: er sich für stark im Leiden hält,
der hat sich drangegeben und vergessen.
4) Richtung
„Es laufen Gerüchte ohne jede Bedeutung hin und her zwischen den Menschen, die man Zivilbevölkerung nennt.“
Arnold Zweig, „Der Streit um den Sergeanten Grischa“, 1927.
Es geht die Kunde, der rechte Senat sei nicht mehr erträglich.
Wir wollen dem Gerücht nachgehen.
V. Zum Geleit XXXII
Die Sitzung wird von vielen Studierenden der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), jetzt ein Department der WiSo-Fakultät, besucht. Sie kämpfen für die weitere Eigenständigkeit ihrer Einrichtung mit gesellschaftskritischem, gewerkschaftlichem Ursprung. Ihr Ansinnen einer entsprechenden Beschlußfassung des AS wird auf die nächste Sitzung vertagt, bewirkt aber direkt die vorgezogene und erneut kritische Auseinandersetzung des Gremiums mit den Studiengebühren. Der AS nimmt unerfreut zur Kenntnis, daß das Präsidium sich nur in marginalen Ausnahmen an seine empfehlenden Beschlüsse zur sozialen Milderung der Gebühren hält. Es dominiert aber das stumpfe Erdulden der Ökonomisierung der Universität, des Verteilungskampfes und des plumpen Technokratentums. Das verdunkelt die meisten Gemüter, deshalb:
Fort mit der Mühsal!
1) Erinnerung
„(482) Humanität
Seele legt sie auch in den Genuß, noch Geist ins Bedürfnis,
Grazie selbst in die Kraft, noch in die Hoheit ein Herz.“
Friedrich Schiller, Gedichte aus dem Nachlaß, 1795-1805.
Schönheit ist angewandte Vernunft, die in Absichten, Gestaltung, Bewegung, in Figur und Entwicklung zu erkennen ist. Nützliches und Aufbauendes zu schaffen, konnte immer wieder gelungen. Erinnerung bilde Zukunft.
2) Gewisse Hindernisse
„Das ›Menschliche‹ steht hierzulande im leichten Ludergeruch der Unordnung, der Aufsässigkeit, des unkontrollierbaren Durcheinanders; der Herr Obergärtner liebt die scharfen Kanten und möchte am liebsten bis Dienstschluß alle Wolken auf Vorderwolke anfliegen lassen, bestrahlt von einer quadratischen Sonne ...“
Kurt Tucholsky, „Das Menschliche“, 1928.
Der konzentrierten hilfreichen Erinnerung an bessere Absichten und Ergebnisse menschlichen Wirkens (siehe Punkt 1.) tönt das Gezeter, Gesäusel und Geklingel des vermeintlichen Sachzwangs entgegen. Diese Laute kommen aus allen Ecken. Man sollte sich hier und da Ruhe ausbitten.
3) Die Richtung der Anstrengungen
„Freilich, wenn ihr den Zweifel lobt
So lobt nicht
Das Zweifeln, das ein Verzweifeln ist!“
Bertolt Brecht, „Lob des Zweifels“, Gedichte 1934-1939.
Wer sich Ruhe verschafft hat, sollte zweifeln. Der Zweifel gelte vorrangig der Gegenwart (siehe Punkt 2.). Aus der sorgsam begutachteten Geschichte - mit bonus und malus - ist die Zukunft zu realisieren. Der unvermeidliche Unmut entfernt sich in Richtung neu gewonnener Handlungsfähigkeit. Manche Schriften sollten auf diesen Weg mitgenommen werden.
4) Der Wert der Heiterkeit
„Der Heine auf dem Weinbergsweg
Hat einen goldnen Zeh
Und einen goldnen Daumen.
der Zeh tut ihm nicht weh.
Die Kinder, wenn sie steigen
aufs Knie dem Dichtersmann,
Fassen sie erst die Zehe
Und dann den Daumen an.
O deutsches Volk, erobere
Dir deiner Meister Knie.
Dann wetzt du ab die Patina
Vom Gold der Poesie.“
Peter Hacks, „Der Heine auf dem Weinbergsweg“, „Hundert Gedichte“, Eulenspiegel Verlag 2003.
Es ist nicht alles nur Kupfer, was nicht glänzt. Auch sind Glanz und Handfestigkeit kein allgegenwärtiger Gegensatz. Wahrheit bedeutet immer wieder Wegzehrung (siehe Punkt 3.).
Manches ist spielend zu erklimmen. Es darf dabei gelacht werden.
Hamburg, den 8. April 2007
VI. Zum Geleit XXXIII
„Verteilungskampf“! - Dieser Ruf schallt vernehmbar und ohne relevante Anklänge einer kritischen Selbstsicht aus der „Führung“ der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Hier wird ordentlich funktioniert. Dieser Kleinkrieg ist in diesem Falle vornehmlich einer unter eigentlich Gleichen: Das Department für Wirtschaft und Politik (ehedem die gewerkschaftlich orientierte HWP) soll zugunsten der älteren Universitätsfachbereiche, insonderheit der Wirtschaftswissenschaften, ausgeschlachtet werden. Diese Absicht ist die unmittelbare Folge aus der mangelnden Bereitschaft der Etablierten, sich mit der aggressiven Spar- und Kommerzialisierungspolitik des CDU-Senats anzulegen. Der Konflikt wird diskutiert, aber nicht konstruktiv weitergeführt. Dafür wirkt auch die Präsidentin, die mit ihrem untrüglichen Sinn für Hierarchien restriktiv die Debattenführung behindert. Ihre Absicht, die Universitätsmitglieder in ihrer kritischen Meinungsäußerung generell mit einem sogenannten Maulkorberlaß zu knebeln, wird allerdings im Akademischen Senat ebenso deutlich zurückgewiesen wie der von der Präsidentin mehr als nur geduldete Einsatz von Polizei gegen „G8-Gegner“ auf dem Campus. Dennoch: Der Möglichkeit der Kritik sollte vermehrt ihre Äußerung folgen:
Wer hat Angst vor der eigenen Wirkung?
1) Untrügliche Symptome
„Amerikaner pflegen sich bei Grippe Umschläge mit heißem Schwedenpunsch zu machen; Italiener halten den rechten Arm längere Zeit in gestreckter Richtung in die Höhe; Franzosen ignorieren die Grippe so, wie sie den Winter ignorieren, und die Wiener machen ein Feuilleton aus dem jeweiligen Krankheitsfall. Wir Deutsche aber behandeln die Sache methodisch: Wir legen uns erst ins Bett, bekommen dann die Grippe und stehen nur auf, wenn wir wirklich hohes Fiber haben: dann müssen wir dringend in die Stadt, um etwas zu erledigen.“
Kurt Tucholsky, „Rezepte gegen Grippe“, 1931.
Die geschäftssüchtige Gesellschaft kommt gar nicht mehr raus aus der schweren Verschnupfung - immer zieht’s irgendwo her.
Die Betroffenen suchen Rat: Weder scheint richtig, die Decke über den Kopf zu ziehen, noch erkältet im Regen herum zu laufen.
Fern ab strenger Maßregeln gilt (in Hamburg): Die passende Kleidung für das jeweilige Wetter ist erforderlich. Und die Erhöhung der Abwehrkräfte hilft gegen unausgesetzte Attacken.
2) Wahrheit heilt
„Wer die Krisis nicht fühlt, nicht mit dem eigenen Wesen daran teil hat, der lebt nicht. Wer sie zwar fühlt, aber sich rein konservativ dagegen verstockt und sich vergrämt ans Alte klammert, schließt sich gleichfalls vom Leben aus. Der Wahrheit ins Gesicht sehen zu können, dieser Mut ist die erste Bedingnis des Lebens; denn Wahrheit und Leben sind zu sehr ein und dasselbe, als daß ein Leben außerhalb der Wahrheit überhaupt denkbar wäre.“
Thomas Mann, „Ansprache an die Jugend“, 1931. Vortrag zur 400-Jahr-Feier des Katharineums zu Lübeck.
Die größte unproduktive Anstrengung besteht darin, die Realität der eigenen Verantwortung für eine humane Entwicklung der Menschheit zu leugnen. Das vermeintlich Kleine hat große Bedeutung für die Allgemeinheit respektive das eigene Befinden - so oder so.
3) Richtung und Charakter der Unternehmungen
„»Die Kunst ist sittlich, sofern sie weckt. Aber wie, wenn sie das Gegenteil tut? Wenn sie betäubt, einschläfert, der Aktivität und dem Fortschritt entgegenarbeitet? Auch das kann die Musik, auch auf die Wirkung der Opiate versteht sie sich aus dem Grunde. Eine teuflische Wirkung, meine Herren! Das Opiat ist vom Teufel, denn es schafft Dumpfsinn, Beharrung, Untätigkeit, knechtischen Stillstand... . Es ist etwas Bedenkliches um die Musik, meine Herren. Ich bleibe dabei, das sie zweideutigen Wesens ist. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sie für politisch verdächtig erkläre.«“
Thomas Mann, Der Zauberberg, „Politisch Verdächtig!“, 1924. Rede von Ludovico Settembrini an Hans Castorp und Joachim Ziemsen während der Sonntagsmusik im Sanatorium ‚Haus Berghof‘.
Nicht immer sind Wachheit, Humor, Wahrheitsfindung und pflegliche Orientierung in Werk und Spiel: Mit der Wissenschaft verhält es sich ähnlich wie mit der Musik. Gesteigerte Aufmerksamkeit vermeidet Verirrungen. Die Angst zeigt auch an, was man sich trauen sollte. Oh, heilige Dialektik!
4) In Zukunft
„Die Marzipanfiguren waren den gierige Enkeln zum Opfer gefallen. Auch diese Generation, die dort heranwächst, taugt nichts, und wenn je eine Generation etwas getaugt hat - ich zweifele daran -, so komme ich doch zu der Überzeugung, daß es die Generation unserer Väter war.“
Heinrich Böll, „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, 1951.
Wer außer den Kriegshelden verdient eigentlich Achtung, Sympathie und Vertrauen?
Eigentlich fast alle.
Jedenfalls alle, die ihre Lage als gemeinsame erkennen und unbeirrt die Bedingungen erträglich gestalten.
Die Zivilisation ist ein unabgeschlossenes Werk.
Hamburg, den 15. Mai 2007
VII. Zum Geleit XXXIV
Wer oder was spricht gegen eine Welt ohne Gewalt? Wer spricht dafür? Liegt hier nicht die größte Herausforderung der Wissenschaften?
Die inneruniversitäre Rangelei ist der Ausdruck des Systems, das im Großen und Ganzen Krieg bedeutet. Die meisten Menschen in der BRD lehnen den Einsatz der Truppen in Afghanistan ab, aber wer arbeitet an der Zivilisierung der Konflikte, an einer stabilen Friedensordnung, an einer vernünftigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung? Derweil CDU und Handelskammer weiter auf die marktfeile Zurichtung drängen, die Kanzlerin Vernau devot „strukturelle Schnitte“ tief ins Leben der Universität verordnen will und die professoralen Mitglieder des Akademischen Senats der allgemein unsicheren Lage mit mehr Bürokratie (Geschäftsordnung) und Technokratismus („Internet-Wahlen“) begegnen wollen, ist die Universität eigentlich in Gänze gefragt:
Wer wagt die große Ambition: Frieden?!
1) Lernresistenz
„Wir haben alle unterschätzt, wie viele Aufständische auftauchen und zusammenfinden würden und dass sie versuchen würden, uns zu stoppen, nachdem wir die Taliban in Afghanistan und Saddam im Irak beseitigt hatten. Wir haben unterschätzt, wie tief dieses Problem geht. Aber ich finde, dass unsere Antwort nur sein kann: Wenn sie uns hart bekämpfen, müssen wir zurückschlagen. Wir müssen geradestehen. Wir müssen sie bekämpfen, überall.“
Tony Blair, scheidender britischer Premierminister, nach dem „G8-Gipfel“ im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ 24/2007.
„Zurückschlagen“, „Geradestehen“, „Bekämpfen“ - „überall“: Nicht alle werden aus Fehlern klug, nicht jeder lernt aus Tat-Sachen; die Bevölkerung lehnt den Krieg ab, der Premier scheidet in Erstarrung.
Krieg nährt die Folgegewalt. Nur Frieden schafft Frieden als zivile Entwicklung.
2) Zusammenhänge
„Die Rüstungskonzerne Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und Rheinmetall haben gute Chancen für eine Beteiligung am größten europäischen Militärprojekt für gepanzerte Fahrzeuge. Das britische Verteidigungsministerium hat jetzt den neuen Transportpanzer Boxer als eines von drei Modellen ausgewählt, das in die Endrunde für das Projekt FRES (Future Rapid Effect System) mit umgerechnet 24 Mrd. Euro Gesamtvolumen kommt. Dabei sollen insgesamt 3000 bis 4000 Fahrzeuge - auch andere als der Boxer - für unterschiedliche Aufgaben bestellt werden.“
Gerhard Hegmann, „Briten liebäugeln mit deutschen Panzern“, „Financial Times Deutschland“, 11.6.’07, S. 3.
Nach Kurt Tucholsky ist die Weltwirtschaft verflochten. Laut Bertolt Brecht kommt die Roheit von den Geschäften, die sie, die Roheit, nötig mache.
Wahrheit hilft abzurüsten.
3) Abwägung
„Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Kriegs über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten, die Kosten aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher, immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen [...]“.
Immanuel Kant, „Zum ewigen Frieden“, 1795.
Das „schlimme Spiel“: Die Vergeudung der Arbeit und der Industrie; die Erziehung zu Befehl und Gehorsam; die Beugung der Wahrheit und des Rechts; die Zerstörung von Jahrtausenden in Sekunden; ein verzerrtes Bild des Menschen von sich selbst.
Mit Bildung, Gesundheit und Kultur hat dies nichts zu tun.
4) Die Konsequenz
„Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!“
Wolfgang Borchert (1921-1947), „Dann gibt es nur eins!“.
Das „NEIN!“ ist: aufgeweckt, vielfältig, notwendig, persönlich, gemeinsam - für Verstand und Leben.
„Nachts darf der Schriftsteller die Sterne begucken. Aber wehe ihm, wenn er nicht fühlt, daß sein Haus in Gefahr ist. Dann muß er posaunen, bis ihm die Lungen platzen.“
Wolfgang Borchert, „Der Schriftsteller“.
Aufmerksamkeit kann weitergegeben werden.
Hamburg, den 14. Juni 2007
VIII. Zum Geleit XXXV
Wer in jedem Fall nicht wissen oder sagen will, daß die allgegenwärtige Dominanz des Geschäftlichen ein zutiefst unmenschliches Prinzip ist, verläßt einen möglichen aufgeklärten Standpunkt und eine klare Perspektive. Im dann folgenden freien Fall sollten die ausgestreckten Hände der anderen beizeiten ergriffen werden. Selbstbehauptung in der politisch verschärften Konkurrenz ist keine Freiheit. So lassen sich auch die brisanten Kontroversen um die Frauenförderung kritisch begreifen.
Freiheit, zwecklich des Humanismus
1) Jeder Ärger findet Worte
„So übel war es in Deutschland nie,
Trotz aller Zeitbedrängnis -
Glaub mir, verhungert ist nie ein Mensch
In einem deutschen Gefängnis.“
Heinrich Heine, „Deutschland - Ein Wintermärchen“, Caput XXV, 1844.
Die akute Lage ist wenig erfreulich. Das betrifft fast alle. Das kennen fast alle. Ein Gefängnis braucht nicht in allen Fällen Mauern oder Gitterstäbe. Auch der Freigänger kennt einen Kalender. Das größte Gefängnis aber ist, sich ohne zwingende Not den Übeln zu unterwerfen. Gar enger wird’s dann, wenn diese Handlungsweise systematisch verteidigt wird.
2) Alles hat eine erkennbare Ursache
„Zum Tier, Boden etc. kann au fond kein Herrschaftsverhältnis stattfinden durch die Aneignung, obgleich das Tier dient. Die Aneignung fremden Willens ist Voraussetzung des Herrschaftsverhältnisses. Das Willenlose also, wie Tier z.B., kann zwar dienen, aber es macht den Eigner nicht zum Herren.“
Karl Marx, „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ (1858), MEW 42, S. 408.
Unstatthafte - statthafte auch - Bedrängungen sind menschlich gemacht. Sie ereignen sich stets zwischen Menschen, die häufig nicht wissen, was gerade so los ist. Die Nicht-Verfügung über die gemeinsamen Angelegenheiten ist das wesentliche Problem. Das wirft man sich dann gegenseitig vor. Hier sei hellere Beleuchtung angebracht.
3) Demokratie wär’ doch schon mal was
„Politiker, zumal die von Großmächten, werfen den Vereinten Nationen gerne vor, sie seien nichts als ein Debattierclub. Bei Leuten, die gewohnt sind, sich kraft schieren Einflusses durchzusetzen, ruft eine solche Struktur zwangsläufig Unzufriedenheit hervor. Doch wer die riesige UN-Familie einzig an der Elle der Debatten misst, beurteilt ein Geschäft nach dem Schaufenster, ohne je den Fuß ins Innere gesetzt zu haben. Denn dort findet das eigentliche Herz der Vereinten Nationen - die Sonderorganisationen, die sich um Gesundheit, Kinder, Flüchtlinge und Vernachlässigten kümmern. Ohne die Vereinten Nationen überschritten Chaos, Vernachlässigung und Unwissenheit jedes menschliche Maß.“
Sir Peter Ustinov, „Von Pferde- und Menschenliebe“, 1995.
Demokratische Prozesse zur Meinungs-, Positions- und handlungsrelevanten Willensbildung sind aufwendig. Sie sind aber unhintergehbar wegen der Relevanz und Reichweite der zu treffenden Entscheidungen. Diese haben genuin menschliche Bedeutung. Fahrlässigkeit kann töten. Sorgfalt ermöglicht die Überschreitung jeglichen Mangels.
4) Die Allgemeinheit individueller Verantwortung
„Wir haben versucht, einzusehen, was Demokratie ist: sie ist der menschliche Ausgleich zwischen einem logischen Gegensatz, die Versöhnung von Freiheit und Gleichheit, der individuellen Werte und der Anforderungen der Gesellschaft. Dieser Ausgleich aber ist niemals vollendet und endgültig erreicht, er bleibt eine immer aufs neue zu lösende Aufgabe der Humanität; und wir fühlen, daß heute in der Verbindung von Freiheit und Gleichheit das Schwergewicht sich nach der Seite der Gleichheit und der ökonomischen Gerechtigkeit, vom Individuellen also nach der Seite des Sozialen verlagert.“
Thomas Mann, „Das Problem der Freiheit“, 1939.
Die globale Alternative, die für Alle Gewicht hat, bekommt immer schärfere Konturen: Zivilisatorischer Fortschritt oder Zunahme des Krieges.
Bei allem bleibt die Frage: Wann befindet der Mensch - als bewußt soziales und kulturelles Wesen - wirklich über sich selbst.
Die Simulationsversuche im Verhalten zu dieser Aufgabe sollten hinkünftig im Museum für Performances zu besichtigen sein.
Das ist auch eine wissenschaftliche Aufgabe.
Hamburg, den 3. Juli 2007
IX. Zum Geleit XXXVI
Die Rückschau auf 2006 anläßlich des Jahresberichts des Präsidium ergibt - Überraschung! - , daß BA/MA und StiNE Katastrophen sind. Die Unterfinanzierung ist auch so ein Problem, das im übrigen mit den von der Behörde für Wissenschaft und Forschung versprochenen zusätzlichen 8,5 Millionen Euro pro Jahr nicht behoben wird. Die durch studentische Kritik angestoßenen, orientierten und mit Ausdauer verfolgten Bemühungen des Präsidiums - des alten und des neuen - haben aber ein öffentlich erkennbares Einlenken des CDU-Senats bewirkt. Das sollte der Anfang seines Endes sein. Die qualifizierte Opposition aller ist von Nöten für...
Mehr als die Abwesenheit von Krieg
1) Licht auf die dunkle Seite
„Spa, einst Modebad an der belgischen Grenze, war im letzten Stadium des Krieges das Hauptquartier der deutschen Armee gewesen. Jetzt befand sich dort der Sitz der Waffenstillstandskommission, eines Zusammenschlusses alliierter und deutscher Offiziere, dem vor allem die täglichen Exekutiveinzelheiten der Waffenstillstandsübereinkommen anvertraut waren und der im übrigen die einzige offene Informationsleitung zwischen der deutschen Regierung und Paris darstellte. (...)
Der Ort war melancholisch, voll der theatralisch-teutonischen Melancholie schwarzer Tannenwälder. Wenn man auf der Terrasse der Villa hin und her ging, war der Horizont von der schwarzen Linie der Wälder abgeschnitten, hinter ihm sank die Sonne, und die Bäume hinter dem Haus seufzten wie ein liebeskranker Preuße.“
John Maynard Keynes, „Dr Melchior/Ein besiegter Feind“, 1920. (J.M. Keynes war Mitglied der britischen Verhandlungsdelegation in Versailles; Carl Melchior, jüdischer Bankier aus Hamburg, Verhandlungspartner seitens der im Ersten Weltkrieg besiegten Deutschen.)
Schon der erste (deutsche) „Griff nach der Weltmacht“ lehrt, daß finstere Romantik und schwere Melancholie nicht nur keine guten Ratgeber sind, sondern auch gefährlich mystisch von Weltgröße träumen lassen. Das „Nie wieder!“ von Diktatur und Krieg erfasse auch die geistig-kulturellen Wurzeln gewalt-taumelnder Illusionen.
Aufklärung ist licht, heiter und streitbar.
2) Wider das Gebot der Ruhe
„Nun ist die Meinung, der Dichter dürfe kein Polemiker sein, er dürfe die Erscheinungen nur in stiller edler Einfalt hinnehmen und verklären, tief in deutscher Anlage verwurzelt. Reizbarkeit gegen die Zeit, die Welt, das Schlechte, Dumme, Niederträchige und Geistwidrige in
ihr und die Äußerung solcher Reizbarkeit als polemischer Angriff, das degradiert, das entehrt den Dichter.“
Thomas Mann, „Rede über Lessing“, 1929.
Der Krieg - mit allen möglichen Waffen - ist „das Schlechte, Dumme, Niederträchtige und Geistwidrige“ in der menschlich zu verantwortenden Welt. Die Zivilisierung des Lebens braucht die Polemik gegen die Zerstörung.
3) Crazy world
„Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export.“
Kurt Tucholsky, „Die Herren Wirtschaftsführer“, 1931.
Der Krieg hat sein Fundament in der rabiaten Mehrung des sich selbst verwertenden Wertes. Die Politik ist in der Hauptsache die Fortsetzung dieses Zweckes. Krieg ist ein Mittel der Politik.
Die Zwecke sind veränderbar.
4) Die Welt als gewaltfreie Zone
„Um von Volksherrschaft zu reden, muß man dem Wort Überzeugung einen neuen Sinn verleihen. Es muß bedeuten: Das Überzeugen der Menschen. Volksherrschaft bedeutet Herrschaft der Argumente.“
Bertolt Brecht, „Me-Ti/Buch der Wendungen“, 1939.
Hier liegt die Alternative zur Herrschaft der Angst, der Verwirrung und der Bajonette klar auf der Hand.
Die Ökonomie sei für den Menschen und nicht umgekehrt.
Die Wissenschaft sei nicht Dienerin, sondern Königin - von allen, für alle.
Hamburg, den 11. September 2007