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Partizipation als dünnes Mäntelchen?
„Das ist meine Vorlesung, schrie Renke, und keine Sprechstunde.
Der Student sagte mit einem schrillen Pfeifton durchs Megaphon: Aber Herr Professor, das ist doch schon eine Sprechstunde. Unsere Sprechstunde. Wir wollen hier mit Ihnen über Ihre Lehrinhalte diskutieren.
Renke schrie: Roter Terror.“
Uwe Timm: „Heißer Sommer“, Roman, 1974.
„›Employability‹ sichern: (...) Als eines der zentralen Stichworte im Bologna-Prozeß wird stets von ›Employability‹ (Beschäftigungsfähigkeit, Arbeitsmarktfähigkeit) gesprochen. Dies darf allerdings nicht als ›Marktförmigkeit‹ des Studiums mißverstanden werden: Ein Studium sollte neben Fachwissen vor allem Fähigkeiten wie Reflexionsvermögen, Innovationsfähigkeit, analytisches Denken und soziale Verantwortung vermitteln. (...) Studierende sollten hierzu das Gespräch mit ihren Studiendekan(inn)en suchen..“
Centrum für Hochschulentwicklung (CHE): „Bologna-Reform als Chance nutzen? Anregungen zur studentischen Partizipation“, März 2010.
Als Ende der 1960er Jahre auch an der Universität Hamburg zu „anständigen Bürgern“ gewendete Mitläufer und Nazis noch immer wohlbestallte Hochschullehrer waren, die sich zuweilen von Ihren akademischen Zöglingen auch den Garten pflegen und die Wäsche legen ließen, war es höchste Zeit für einen gesellschaftlichen Aufbruch. Im Audimax hieß es deshalb 1967 „Unter den Talaren/Muff von 1000 Jahren.“ Für strenge akademische Exerzitien nach dem Diktat ökonomischer Verwertung, elitärer Kultur und autoritärer Politik sowie außenpolitischer Hegemoniewünsche brachen ungemütliche Zeiten an.
Die soziale Öffnung der Hochschulen, die Durchsetzung demokratischer Mitbestimmung, egalitäre bzw. kooperative Lernformen und gesellschaftskritische Inhalte, ja, auch die bauliche Erweiterung der Universität wurden durch kritisches Engagement vorangetrieben. Was nicht optimal gelang, geriet dennoch gründlich anders und besser.
Die Ideologie und Praxis der Standortpolitik – Bildung sei „unsere“ wichtigste Ressource – hat (besonders in den Jahren der Dräger-Zeit) diese Errungenschaften minimiert.
Die Kaskade der Konkurrenz: Standort/Hochschule/Fakultät/Institut/Lehrende/Beschäftigte/Studierende – hat kulturelle Armut bis zur Besinnungslosigkeit erzeugt. Der Bachelor-Master-Parcours zur vermeintlichen Berufsqualifizierung mit Studien-Maut und „Qualitätssteigerung“ durch schwielige Ellenbogen ist Teil dieses Systems. Er muß also geschlossen werden.
Die Krise, die darin besteht, daß die Gewinnwirtschaft und das dienstbare Management der Allgemeinheit abenteuerliche Schäden zufügt, ist inmitten der Hochschulen angekommen. Selbst das CHE (s.o.) – ein Lautsprecher des Bertelsmannkonzerns – erkennt, daß es so nicht bleiben wird und will die Hochschulmitglieder, insbesondere die Studierenden, zur konformen Schadensminderung „anregen“. Mit Bildung und Wissenschaft für Frieden, für ausreichend Nahrung und guten Wohnraum, gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, solide Löhne und Sozialleistungen sowie humane Gesundheitsversorgung, für anregende, aufgeklärte Kultur und die verantwortungsbewußte Erschließung natürlicher Ressourcen hat das nur am Rande etwas zu tun.
In dieser konzeptionellen Kontroverse ist auch „die Reform der Bologna-Reform“ die Herausforderung, verantwortungsbewußt das allgemeine Wohl zu mehren.
Partizipation? Ja, aber mit eindeutig menschenwürdiger Tendenz.
Demokratie ist die soziale Praxis der aufgeklärten Überzeugung.
Sie muß strukturell möglich sein und durch kritisches Engagement wahrgenommen werden.