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Frieren und Aufrüsten für den Frieden?

Weitblickende zivile Entwicklung ist das Gebot der Stunde

„SPIEGEL: Kurz vor Ausbruch des Krieges erinnerte der New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman an ein Interview, das er 1998 mit George Kennan führte, der im Kalten Krieg die US-Strategie der Eindämmung prägte. Kennan hielt die Erweiterung der Nato für einen ›strategischen Fehler‹ und sagte eine massive Reaktion Moskaus voraus. Hatte Kennan recht?
Stavridis: Im Rückblick hatte er sicher in einem Punkt recht – zu dem vernünftige Menschen unterschiedliche Ansichten haben können. Ich habe einen beträchtlichen Teil meines Lebens im Militär verbracht, im Kalten Krieg und im Kontakt mit Russland, und meine Ansicht ist diese: Wären wir George Kennan gefolgt, dann hätten wir damals zu Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Bulgarien sagen müssen: ›Sorry, ihr könnt der Nato nicht beitreten.‹ Hätten wir dieses Argument zu Ende gedacht, hätten wir die Nato sogar auflösen müssen...“

Ex-Nato-Oberbefehlshaber James Stavridis im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 11 / 12.3.2022, S. 15-17, hier S. 17.

„So brach in ständigem Aufruhr viel Schweres über die Städte herein, wie es zwar geschieht und immer wieder sein wird, solange das Menschenwesen sich gleichbleibt, aber doch schlimmer oder harmloser und in immer wieder anderen Formen, wie es jeweils der Wechsel der Umstände mit sich bringt. Denn im Frieden und Wohlstand ist die Denkart der Menschen und der ganzen Völker besser, weil keine aufgezwungenen Notwendigkeiten sie bedrängen; aber der Krieg, der das leichte Leben des Alltags aufhebt, ist ein gewalttätiger Lehrer und stimmt die Leidenschaft der Menge nach dem Augenblick.“

Thukydides (vor 454 v.u.Z. bis wohl zwischen 399 v.u.Z. und 396 v.u.Z): Der Peloponnesische Krieg. 3,82; zitiert nach der Übersetzung von Georg Peter Landmann (München 1991, S. 250.)

„Niemand beherrscht einen Krieg. Es gibt nicht einen einzigen Wert in der Welt, sei er materiell oder ideell, der Krieg rechtfertigt. (…)
Man muss den Punkt lokalisieren, der für beide Seiten eine Verständigung ermöglicht. Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt, Sieger ist, wer den Frieden herstellt. (…)
Man kann den Krieg nur beenden, wenn man den kleinen Möglichkeitsraum findet, in dem Frieden möglich wäre.“

Alexander Kluge, Schriftsteller und Filmautor, im Interview mit der „Zeit“, 5.3.2022.

„Die Möglichkeit ist nicht die Wirklichkeit, doch auch sie ist eine Wirklichkeit: daß der Mensch eine Sache tun oder lassen kann, hat seine Bedeutung, um zu bewerten, was wirklich getan wird. Möglichkeit bedeutet ›Freiheit‹. Das Maß der Freiheit geht in den Begriff des Menschen ein. Dass es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und dass dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10 (1932-1935), § 48, „Einführung in das Studium der Philosophie“.

Ohne jeden Zweifel: Die militärische Aggression der russischen Administration unter Wladimir Putin ist sofort zu stoppen. Verbindliche Verhandlungen für eine friedliche Lösung des Konflikts sind – sicher mit großem öffentlichen Druck, inklusive der weltweiten Friedensbewegung – konstruktiv zu führen. Hierbei mag die UNO eine moderierende Rolle spielen. Die russischen Truppen sind baldigst abzuziehen. Der Aggressor hat für die Kriegsschäden aufzukommen. (Ähnliches gilt beispielsweise gleich- wohl für die Kriege im Jemen, in Afghanistan und in Syrien.)

Im Schatten des Krieges wird – teilweise unter tosendem Applaus der Konservativen – ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt. Welch ein Betrag! Damit könnten eher und besser Krankenhäuser, Schulen, Schienenwege, Sozialwohnungen und Wege der Verständigung gebaut werden. Somit stünden eigentlich ebenso eine sozial gerechtere Steuerpolitik sowie das Lösen der
„Schuldenbremse“ auf der politischen Tagesordnung. So muß niemand frieren.

Angekündigt ist hingegen nun auch die Anschaffung von gefährlichen neuen Flugzeugen aus den USA. Die Bundesregierung will die Luftwaffe in einem milliardenschweren Modernisierungsprogramm mit F-35-Tarnkappenjets ausrüsten. Die Maschinen des Herstellers Lockheed Martin sollen als Nachfolger der vor über 40 Jahren eingeführten Tornado-Flotte beschafft werden. Die F-35 gilt als modernstes Kampfflugzeug der Welt und wird auch für die sogenannte Nukleare Teilhabe Deutschlands gekauft, ein Abschreckungskonzept der Nato, bei dem Verbündete Zugriff auf US-Atombomben haben. Wegen ihrer speziellen Form und Außenbeschichtung ist die Maschine für gegnerisches Radar nur schwer zu entdecken. Desgleichen läßt sich der friedenspolitische Sinn dieser Steigerung einer nuklearen Kriegsgefahr nicht erkennen. Kriegshemmnisse werden gefährlich gesenkt. Geistige, materielle, diplomatische und kooperative Ressourcen und Möglichkeiten werden auf diese Weise verschwendet oder gehemmt.

Vielmehr ist eine eindeutige Abkehr vom akuten und globalen Militarisierungskurs dringend erforderlich. Abrüstung für zivile bzw. kooperative Entwicklung ist das wesentliche Gebot der Stunde. Zu diesen höheren humanen Zwecken ist ebenso die internationale zivilgesellschaftliche Pflege von tradierten Beziehungen in Wissenschaft, Kunst, Kultur und menschlichen Begegnungen erforderlich. Wir haben Besseres und Besserung zu denken und zu tun.