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Vernunft und Vertrauen

Im besten Fall eine Symbiose

„SPIEGEL: Was wird heutzutage beim Blick auf die NS-Zeit zu wenig wahrgenommen?
Kluge: Die Glückssuche im Privaten. In dem Maße, in dem Krieg und Hass zunehmen, wird die Unterhaltungsindustrie stärker, die Schlager inniger. Die Nazis förderten Liebesfilme, und aus Radio Leipzig drangen die Schlager. Die allgemeine Glückssuche sollte ablenken von dem, was eigentlich geschah, den Verbrechen. Deswegen habe ich bis heute eine Aversion gegen Unterhaltung, jedenfalls die, die das Wegsehen begünstigt.“

Alexander Kluge (Schriftsteller, Filmautor) im „SPIEGEL-Gespräch“ („Die Vergangenheit lebt in uns weiter“), „SPIEGEL“ Nr. 7/12.2.2022, S. 108-111, hier S. 109.

„Jemand kommt daher und kommt zur Macht mit dem Auftrag und Beruf, das Denken aus der Welt zu schaffen. ›Der Führer denkt für euch‹. Zu ergänzen: ›Wenn ihr dächtet, wär er euer
Führer – gewesen.‹ Darin ist er weit gegangen, die Absicht wurde laut, nur noch den abgerichteten Parteinachwuchs das Lesen zu lehren. Weder die Deutschen noch die unterworfenen Völker sollten die Mittel haben, wahr von unwahr, recht von unrecht, den Antimenschen vom Menschensohn zu unterscheiden.“

Heinrich Mann, „Ein Zeitalter wird besichtigt“, 1946/Frankfurt (M) 1988, S. 180.

„In der Geschichte verwirklicht sich die Vernunft – diese schöne Hoffnung aus dem 19. Jahrhundert hat schon einige Dämpfer erfahren. Auch die alleroptimistischsten Liberalen glauben nicht mehr so recht an eine naturgesetzhafte Selbstentwicklung der besseren Gesellschaft, das lineare Modell vom immer fröhlich aufwärts rollenden Fortschritt ist nicht mehr zu halten. Ersetzt wurde Vernunft durch Effizienz: Es wird zwar nicht ständig alles besser, dafür aber billiger. Oder schneller! (…)
Der neoliberale Effizienzfetisch hat Systeme geschaffen, die stets gerade noch so funktionieren; selbst Megakonzerne müssen im Notfall handlaminierte Hinweisschilder zusammenkrakeln und Küchenfolie ausrollen, weil all die agilen Designs und Wordings nur fürs Weiter-so ausgerichtet waren. In den Unternehmen geben zehn Angestellte stets 110 Prozent, um die Einstellung eines elften zu verhindern; werden dann drei krank, fehlen effektiv sieben. In der Verwaltung zeichnen zwei Mitarbeiter*innen für alle Grünflächen einer Großstadt verantwortlich; fällt eine aus, sammelt sich in den Parks der Unrat. Eine dritte Mitarbeiterin wäre im Normalfall überflüssig, und die Öffentlichkeit wäre empört, leistete sich der zwangsverschlankte Staat eine dritte Mitarbeiterin,
die nur da wäre, Notfälle abzuwenden.“

Leo Fischer, „Im Namen der Effizienz“, neues-deutschland.de, 22.1.2022, S. 8.

„Effizienz“ bedeutet unter den gegebenen Bedingungen hauptsächlich Kostensenkung, Tempo, Konkurrenz, Vereinzelung – zugunsten der Rendite bzw. des Schuldkomplexes, nichts richtig zu machen oder nicht richtig zu sein.
Den Rest erledigen dann die Regierenden oder das stumme Prinzip der Alternativlosigkeit.
Auch das Lernen, wenn dieses Prinzip anerkannt wird, dient dann wesentlich dem Dienen.

„Ich habe mich nach dem Strom der Gesinnungen gerichtet, und zweierlei gesucht, entweder reich oder ein Betbruder zu werden, es ist mir aber keines geglückt. (98)“

(Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft J, 1789.)

Dabei sind (kritische) Vernunft, Bildung, Wissenschaft und historische Erfahrung(en) – im Guten wie im Schlechten – bestens dafür geeignet, die organisierte Unmündigkeit zu verlassen und sich in verabredeter Gemeinschaft auf den Weg einer kooperativen, rationalen Gestaltung für eine humane Welt zu machen.

Insofern befinden wir uns in einer Kontroverse zwischen organisierter Unvernunft auf der einen und zu organisierender Vernunft auf der anderen Seite.

Das betrifft den Frieden (allseitige Abrüstung), die soziale Würde weltweit, das prinzipiell rationale Verhältnis zur Natur, das aufgeklärte Verhältnis im Widerstand zu dumpfen Vorurteilen sowie dem praktischen Verständnis von akuter Fairneß mit Weitblick und Humor.

Hier haben auch die Wissenschaften wieder neu zu lernen: Weder der Elfenbeinturm noch die Kaderschmiede für die Effektivierung von rein ökonomischen Abläufen bietet hier eine sinnvolle Orientierung.

Schlicht und doch ergreifend sei gesagt: An ers ter Stelle sollte verstärkt die Wahrheitsfindung stehen. Sie impliziert das Erreichen des Allgemeinwohls – im Kontra zu Egoismen aller Art.

Dieser vernünftige Modus bedarf einer bedarfsgerechten Finanzierung der Hochschulen, der Studienreform, der sozialen Absicherung aller Mitglieder der öffentlichen Einrichtung, der demokratischen Beteiligung auf allen Ebenen sowie einer kultivierten Begegnung in Präsenz. So entfalten sich Persönlichkeiten. Der Sinn ist klar, der Weg offen. So entsteht zunehmend Vertrauen.