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Die AfD hat braune Wurzeln
„SPIEGEL: Die Ideologie Hitlers stammt aus dem Kaiserreich?
Wirsching: Er hat sich der Versatzstücke bedient, die er vorgefunden hat.
SPIEGEL: Der Sozialdarwinismus war keine deutsche Erfindung, sondern stammte aus Großbritannien.
Wirsching: In anderen Ländern erfüllte er aber andere Funktionen. In Großbritannien wurde aus dem Gedanken, dass der Stärkste sich durchsetzt, die Forderung nach gesellschaftlichen Reformen und sozialem Fortschritt abgeleitet. In den USA wurde der Sozialdarwinismus [kritisch] auf den kapitalistischen Markt übertragen. Im Kaiserreich verbreiteten die Alldeutschen, Geschichte sei eine Überlebensfrage, ein ständiger Kampf der Völker untereinander, und für diesen Kampf müsse man sich wappnen. Begriffe wie ›Kampf ums Dasein‹ oder ›Vernichtung‹ fanden Gehör nicht nur bei den Völkischen, sondern hin- ein bis in die politische Mitte. (…) Ja, die Bühne, die Hitler 1919 betreten hat, gab es vor ihm. Und das Publikum war auch schon da.
SPIEGEL: Glauben Sie, dass der neue Trend in der Wissenschaft [Revisionismus / Relativierung] das Geschichtsbild der Deutschen dauerhaft verändern wird?
Wirsching: Es ist eine Daueraufgabe, das Jahr 1933 zu erklären. Und ich sehe die Gefahr, dass wir diese Aufgabe aus dem Auge verlieren. Dann wird der Nationalsozialismus wieder zu einem Betriebsunfall der deutschen Geschichte, den man nicht erklären kann. Oder zu einem Unglück, das jederzeit und überall hätte passieren können. Nach dem Motto, es gab ja schließlich viele Genozide und Gewalttaten im 20. Jahrhundert, die Deutschen haben einfach Pech gehabt. Das wäre ein krasser Rückfall in eine längst überwundene Vorstellungswelt.“
Prof. Andreas Wirsching (Neueste Geschichte / Uni München) im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 23/5.6.2021, S. 54-56.
„Die AfD-Wählerschaft ist nicht homogen. Sie setzt sich zusammen aus enttäuschten Ex-Linken, Frustrierten, politisch Naiven, politischen Provokateuren. Aber auch, das ist der schwierigste Teil, aus vielen Menschen mit unbeirrbarem Hang zum Rechtsextremismus. Letztere sind für eine wehrhafte Demokratie verloren, aber beim Rest lohnt sich jede Mühe und die Frage: Machen wir vielleicht für viele Bürger, besonders im Osten, die falsche Politik?“
Jörg Quoos, „Wahl in Sachsen-Anhalt ist kein Grund zum Jubeln“, „Hamburger Abendblatt“, 7.6.2021, S. 2.
„Nein, es gab nie etwas so Schuftiges wie das Nazitum.“
Thomas Mann, Tagebuch, 11.10.1935 (Schweizer Exil).
Nein, ein „Triumph“, wie der Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß für die CDU oder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im Leitkommentar für den Ministerpräsidenten des Landes, Reiner Haseloff (CDU), behauptet, ist das Wahlergebnis für die CDU in Sachsen-Anhalt ganz gewiß nicht. – Denn die dort ausgeprägt völkische AfD hat über 20 Prozent der abgegebenen Stimmen – auf dubiose Weise – erhalten. Die Höhle ist also noch gefährlich bewohnt.
Immerhin sieht der Kommentator des „Hamburger Abendblattes“ ernst zu nehmende Probleme.
Allerdings machen „wir“ schon seit langem die falsche Politik. Diese Fehler treten zunehmend gehäuft auf und zeigen sich in diesen bedenklichen Wahlergebnissen.
Das Völkische, Rassismus und Antisemitismus, die Verharmlosung, Beschönigung, ja, gar die offene Befürwortung von Diktatur, staatlich organisiertem Massenmord und (Welt-)Krieg, sind die brutale und reaktionäre Antwort auf eine tiefgreifende soziale Perspektiv- und politische Sinnkrise.
Aus der Geschichte lernen bedeutet nicht nur das „Nie wie- der!“ bzw. das „Wehret den Anfängen!“, sondern auch, die erforderliche prinzipielle – historisch und aktuell vorhandene – Alternative ernst zu nehmen und zu verwirklichen. Der Hinweis von Andreas Wirsching (s.o.): Gesellschaftliche Reformen und sozialer Fortschritt. Hinzu kommen auf jeden Fall die Beendigung von Kriegen, Abrüstung, Entmilitarisierung bzw. der absolute Vorrang internationaler ziviler Entwicklung. Das schließt sinnvollerweise die Beendigung des Raubbaus an der Natur, echte – bedarfsgerecht und demokratisch – Entwicklungshilfe sowie auch die vollständige Wiederherstellung des Asylrechts im Grundgesetz ein.
Auch hier sind kultiviert streitbare Wissenschaften gefordert. Aus der – tatsächlich begriffenen – Geschichte läßt sich lernen. Gemeinsam gebildete Menschen sind ein positiver Faktor. Hilfreiche und wegweisende Erkenntnisse können politische bzw. gesellschaftliche Gestalt annehmen.
Quellen und Beispiele (auch mit Humor) sind vorhanden. Zum Beispiel:
„Ohne Zweifel dagegen sind von unserm Fleisch und Blut Leute, die fürs Leben gern Wundergeschichten und Schauermärchen anhören oder auskramen. Sie bekommen nie genug, so oft einer gruselige Dinge von Erscheinungen, Geistern, Gespenstern, Gerippen und anderm Spuk zum besten gibt; je toller die sind, um so lieber werden sie geglaubt, um so weniger kitzeln sie die Ohren. Und man vertreibt sich dabei nicht bloß die ganze Zeit herrlich; es trägt auch etwas ein, besonders bei Priestern und Predigern.“
Erasmus von Rotterdam 1466-1536), „Lob der Torheit“, 1509.
Aufklärung und Humanismus sind immer wieder neu von Bedeutung. Das Leben wird heller.