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Mehr Demokratie wagen!
„In einer Umfrage, die der Softwarekonzern Microsoft unter 31.000 Vollzeitangestellten und Selbständigen durchführen ließ, zeigte sich in Europa ein besonders hohes Stresslevel. 42 Prozent der Befragten klagten an einem durchschnittlichen Tag über Erschöpfung. 37 Prozent gaben an, dass ihr Arbeitgeber zu viel von ihnen verlange. Und jeder Sechste ist seit Anbeginn der Pandemie schon einmal vor Kollegen in Tränen ausgebrochen. Und dabei können sich Heimarbeiter glücklich schätzen, eigentlich. Anders als Fabrikarbeiter, Ärztinnen, Lieferboten und Friseurinnen müssen sie sich keinem Infektionsrisiko aussetzen, um ihre Miete zahlen zu können. Andererseits bleibt ihr seelisches Leid unsichtbar – für die Gesellschaft und den Arbeitgeber. Während die Bundesregierung über eine Homeoffice-Pflicht debattiert, um die Infektionen zu senken, wünschen sich manche Arbeitnehmer nichts sehnlicher, als der Homeoffice-Hölle zu entfliehen.“
AutorInnenkollektiv, „Shutdown im Kopf“, „SPIEGEL“ Nr. 14/3.4.2021, S. 68-70, hier S. 69.
„SPIEGEL: Was ist Ihre Kritik?
Nida-Rümelin: Schauen Sie in die Verfassung. Die Ministerpräsidentenkonferenz gibt es nicht. Das Modell ist spätfeudal. Die Kurfürsten kommen zusammen, beraten hinter verschlossenen Türen, und teilen dem geneigten Volk mit, zu welchem Ergebnis sie konsensual gekommen sind. Denn Merkel kann in der Runde nicht auf den Tisch hauen, wie manche von ihr fordern; die Ministerpräsidenten sind ihr nicht unterstellt.
SPIEGEL: Wie sähe die Alternative aus?
Nida-Rümelin: Wofür haben wir Parlamente? Dort könnte öffentlich gestritten werden, dort könnten die Bürger mitverfolgen, wer aus welchen Motiven welche Positionen vertritt. (…) Es gibt Hinweise darauf, dass die globalen Lockdownmaßnahmen mitsamt den unterbrochenen Lieferketten im globalen Süden mehr Menschenleben kosten als sie dort Leben retten. Die globale Irrationalität der Maßnahmen wird uns die nächsten Jahre noch beschäftigen.“
Prof. Dr. (Philosophie) Julian Nida-Rümelin im „SPIEGEL“-Interview, „SPIEGELONLINE“, 3.4.2021.
„Grundrechte sind kein Larifari. In einem demokratischen Rechtsstaat steckt nämlich die Kraft der Hoffnung in den Grundrechten. (…) Demokratie ist sehr viel mehr als eine Wahl. Eine richtige Demokratie findet jeden Tag statt, sie findet statt im mühsamen Begründen, Streiten und Aushandeln
– wenn, ja wenn nicht gerade Corona und also das Sich-Versammeln schwer ist, das Demonstrieren auch.“
Heribert Prantl, „NOT UND GEBOT – Grundrechte in Quarantäne“, München 2021, S. 103 u. 104.
Dieser Satz ist ernst zu nehmen: Grundrechte sind kein Larifari. Ebensowenig die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, die Arbeitssicherheit und tarifliche Arbeitsverhältnisse. Gleiches gilt für den bedarfsgerechten Sozialstaat, ein stress- freies Gesundheitssystem sowie die möglichst gleiche gesellschaftliche Teilhabe an Bildung, Kultur und dem politischen Leben (über Wahlen und Parlamente hinaus). Demokratie als all- gemeiner dauerhafter sozialer und kultureller Prozeß.
Zur Zeit ist es aber schlecht damit bestellt. Die strikte Einschränkung der Grundrechte bzw. des gesellschaftlichen Lebens wird damit legitimiert, die Pandemie möglichst wirkungsvoll zu bekämpfen. Dabei kommen allerdings die Impfungen (gar weltweit), die gezielten Testungen, wirklich relevante Schutzmaßnahmen (z.B. Lüftungsanlagen in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen) nur mäßig voran.
Ganz oder besser nicht zu schweigen von der Rundumverbesserung des Gesundheitssystems (Gesundheitsämter, Krankenhäuser – zurück in die öffentliche Hand –, Pflegeheime, wissenschaftliche Forschung und Entwicklung). Der negative Stress nimmt zu. Er ist gesundheitsgefährdend. – Durch permanente Angstmitteilungen, keine Perspektive, Erwerbslosigkeit, Insolvenzen, Arbeitsverdichtung und soziale Isolation.
Das ist alles andere als menschenwürdig. Diesem allgemeinen Grundsatz, nach dem sich alle Grundrechte der bundesdeutschen Verfassung richten, entsprechen weit eher Frieden, Abrüstung und Entmilitarisierung, sinnvolle Arbeitsverhältnisse, internationale Solidarität und zivile Entwicklung weltweit, die Beendigung des Raubbaus an der Natur, aufgeklärte Bildung, das Kontra gegen (sehr) Rechts, kultivierte Begegnungen und ein menschlicher Zustand, der besser ist als vor der Pandemie.
Dafür sind die kritische Meinungsbildung, gemeinsames Handeln bzw. die neu bewußte Wahrnehmung der Grundrechte unverzichtbar. Auch die wissenschaftlichen Begegnungen mit ihren perspektivbildenden sowie problemlösungsorientierten Potentialen gehören ein- schließlich dazu. Erweiterte Ambitionen erhellen den Alltag und schaffen neue Zugänge zu Seinesgleichen. Lernen ist menschlich. Entfaltung ist Freude. Demokratie ist die Angelegenheit Aller.