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Vernunft, Verantwortung und soziale Perspektive

Für eine neue gesellschaftliche Einheit

„Wer Gesundheitsministerien ermächtigt, darf sich nicht wundern, wenn Kultur auf der Strecke bleibt. Zu spät kam zur Sprache, welche Schäden der nach diesem Verfahren gewählte Kurs auslöst für Arbeitsleben und Wirtschaft, für Kultur, Religion, Bildung. Schließlich erkannte man die Schäden, die durch das Schließen der Krankenhäuser, das Verschieben von OPs, das Verbot der begleitenden nichtmedizinischen Therapien für die Gesundheit selbst entstanden. Und es wurde klar, dass die ökonomisch Schwachen besonders belastet wurden, der Shutdown also auch eminent soziale Folgen hat. (...) Plötzlich sind auch Zahlen da, die Zweck-Mittel-Diskussionen ermöglichen. (...) Die Deutungshoheiten müssen von den Regierungen wieder auf plural zusammengesetzte Gremien übergehen, in denen die gesellschaftliche Vielfalt Stimme hat.“

Prof. Oliver Lepsius, „Warum lauert die Polizei Spaziergängern auf?“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 25.4. 2020, S. 13.

„Gute Politik in Corona-Zeiten ist mehr als Mund- und Infektionsschutz. Gute Politik in Corona-Zeiten muss eine gute Sozialpolitik sein.“

Heribert Prantl, „Venceremos, wir werden siegen!“, Ein Nachruf auf den jüngst verstorbenen CDU-Sozialpolitiker Norbert Blüm, in: „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 26.4. 2020.

„Denn es hat sich in den letzten Wochen gezeigt, dass die pädagogische Reichweite digitaler Tools begrenzt ist. Kein noch so lebendiger Chat und keine Videokonferenz können die Dynamik echten Unterrichts ersetzen. Das wichtigste Fundament schulischen Lebens ist das menschliche Miteinander, und soziale Interaktion lässt sich eben nicht in Maschinensprache abbilden. Solche »Unübersetzbarkeiten« klarer zu erkennen ist ein wichtiges Resultat der derzeitigen Entwicklung.“

Wolfgang Schimpf, Schulleiter des Max-Planck-Gymnasiums Göttingen und Vorsitzender der niedersächsischen Direktorenvereinigung; „Die Lehren aus der Leere“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 27.4.2020.

„In Dänemark arbeiten rund zwei Drittel der Eltern in Doppelvollzeit. Dort durften als erste Maßnahme nach dem Corona-Shutdown die Kitas wieder öffnen.“

Anna Clauß, „Die neue Herdprämie“, (Leitartikel), „SPIEGEL“ Nr. 18/25.4.2020, S. 6.

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI hat für das letzte Jahr ermittelt, daß die Staaten der Erde nahezu zwei Billionen Dollar in ihre Rüstungshaushalte gesteckt haben. An der traurigen Spitze stehen nach wie vor die USA, die 2019 ca. 732 Milliarden Dollar für diese negativen Zwecke in ihrem Staatshaushalt verwandt haben. Das entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 5,3 Prozent sowie nahezu den gesamten Aufwendungen der darauffolgenden zehn Staaten zusammen.

Insgesamt handelt es sich laut SIPRI um den fünften jährlichen Anstieg bzw. um einen neuen Höchstwert seit den Ermittlungen des Institutes im Jahr 1988. Allerdings gehen die FriedensforscherInnen davon aus, daß folglich der Corona-Pandemie damit ein einstweiliger Höchststand erreicht sei. Den größten prozentualen Zuwachs unter den 15 stärksten öffentlichen Militärausgaben verzeichnete die Bundesrepublik Deutschland. Hier stiegen die Militärausgaben um zehn Prozent auf 49,3 Milliarden Dollar. Eine düstere Bilanz.

Wenn Frieden die Beendigung von Kriegen, zivile Konfliktregulierung, echte Entwicklungshilfe, internationale Kooperation bei globalen Problemen, Rüstungskonversion, die Stärkung des Bildungs-, Sozial-, Gesundheits- und Kulturstaates bedeutet, ebenso die ideelle und materielle Stärkung der UNO, der UNESCO und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dann bleibt Frieden – ohne ihn ist alles nichts – die erste Aufgabe für die globalen Gesellschaften, für Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur bzw. für alle Menschen und aufgeklärtes Handeln auf allen Ebenen der Gesellschaft. Auch aus diesen Gründen sollten die Hochschulen – Schritt für Schritt, mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen – wieder öffnen und sich in neuer Dimension diesen Herausforderungen stellen. Hilfreiche Erkenntnisse basieren auf dem menschlichen Miteinander und sozialen Interaktionen. Mündigkeit entsteht kooperativ.

„Das Fräulein [von Barnhelm]: (...) Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. – Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.“

Gotthold Ephraim Lessing, "Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück", Zweiter Aufzug/Neunter Auftritt, uraufgeführt in Hamburg am 30. September 1767.

Kurt Tucholsky hat schon 1930 einen satirischen Hinweis zur sozialen Lage gegeben:

... zu dürfen

Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, dass Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: wer die Butter hat, wird frech.
Es ist nicht nur, dass die Koalitionsrechte der Arbeiter und nun gar erst die der Angestellten auf ein Minimum zusammengeschmolzen sind, dass ihre Stellung bei Tarifverhandlungen immer ungünstiger wird, weil bereits das Wort ›Tarif‹ bedrohliche Wettererscheinungen in den Personalbüros hervorruft ...
auch die Atmosphäre in den Betrieben ist nicht heiterer geworden. Zwar jammern die Arbeitgeber: »Wir können die Untüchtigen so schwer herauskriegen – heutzutage kann man ja niemand mehr kündigen ... « keine Sorge: man kann. Und so wird Arbeit und Arbeitsmöglichkeit, noch zu jämmerlichsten Löhnen, ein Diadem aus Juwelen und ein Perlengeschmeide.

»Der Portier, dem Sie da gekündigt haben«, sagte neulich ein Beisitzer zu dem Vertreter des Café Josty, »hat immerhin dreißig Jahre vor Ihrer Tür gestanden ... « – Der Vertreter: »Ist es nicht bereits ein Plus, dreißig Jahre vor dem Café Josty stehen zu dürfen?« Und wenn er den ganzen Satz nicht gesagt hat: » ... zu dürfen« hat er bestimmt gesagt. Die einen haben das ›Recht‹, für das Vaterland sterben zu dürfen, andre ›dürfen‹ zu Hungerlöhnen arbeiten – wobei denn wieder andre die saure Pflicht haben, vierundzwanzig Aufsichtsratsposten bekleiden zu müssen.

Merk: Wenn einer bei der Festsetzung von Arbeit und Lohn mit ›Ehre‹ kommt, mit ›moralischen Rechten‹ und mit ›sittlichen Pflichten‹, dann will er allemal mogeln.“

Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 14.10.1930, Nr. 42, S. 597.