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„Wer hat Angst vor´m schwarzen Mann?“

Zur Dringlichkeit sozialer Veränderungen

„Üppige Profite wären noch kein Grund, höhere moralische Ansprüche an die [Pharma-]Industrie zu stellen, Mediziner sind selten Antikapitalisten. Dennoch ist eine inzwischen heftige Debatte entbrannt, ob der Staat nicht eine größere Rolle spielen, steuernd eingreifen soll, damit die Interessen der Allgemeinheit nicht gegenüber legitimen Gewinninteressen marginalisiert werden. ‚Ist es an der Zeit, die Pharma -industrie zu verstaatlichen?’, fragt das ’British Medical Journal’ in seiner aktuellen Ausgabe und lässt im Pro und Contra durchblicken, dass die Party so ungetrübt nicht weiter laufen kann. Marktversagen wird immer öfter konstatiert. (…) Wenn im Krankheitsfall behandelt wird, fällt der Nutzen der Behandlung nicht nur individuell an, sondern gesellschaftlich. Bei Corona darf man sagen: weltgesellschaftlich. (…) Sollte es einmal einen Impfstoff geben, wäre es absurd, seinen Preis dem Spiel von Angebot und Nachfrage zu überlassen.“

Jürgen Kaube, Joachim Müller-Jung, „Ein Patient ist kein Kunde“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 12.3.2020, S. 11.

„Morgen müssen wir die Lehren ziehen aus dem, was wir gegenwärtig durchmachen, das Entwicklungsmodell hinterfragen, in das sich unsere Welt seit Jahrzehnten verwickelt hat und dessen Mängel nun ans Licht kommen, die Schwächen unserer Demokratien hinterfragen. Eines hat sich durch diese Pandemie schon jetzt herausgestellt: Die kostenlose Gesundheit, unabhängig vom Einkommen, Stellung und Beruf, unser Sozialstaat sind keine Kosten oder Lasten, sondern wertvolle Güter, unverzichtbare Trümpfe, wenn das Schicksal zuschlägt. Diese Pandemie hat jetzt schon deutlich gemacht, daß es Güter und Dienst -leistungen gibt, die außerhalb der Marktgesetze gestellt werden müssen.“

Ansprache des französischen Präsidenten Emanuel Macron vom 12.3.2020, zitiert nach: Reinhardt Gutsche,„Es geht ans Eingemachte“, „Freitag“ („Community“), 13.3.2020.

„Ist es überhaupt noch möglich, gemeinsam etwas zu verändern? Wenn diese Frage einmal formuliert ist, wird es schwer, zur Normalität zurückzukehren. Oder das, was wir bis eben dafür hielten. Es kann nicht normal sein, dass die Angst vor hohen Sterberaten bei älteren Menschen, vor einer Überforderung der Kliniken und dem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems mit Diskussionen über Steuererleichterungen für die deutsche Industrie beantwortet wird.“

Nils Minkmar, „Endlich ist nichts mehr so, wie es einmal war“ (Essay), „SPIEGEL“ Nr. 12 / 14.3.2020, S. 78-79, hier S. 78f.

Der Staat in Bund und Ländern handelt in verspäteter Folge der Gesundheitskrise autoritär. Das öffentliche Leben der Gesellschaft (Arbeit, sozial, politisch und kulturell) soll auf ein quälendes Minimum reduziert sein. Die Lasten und Folgen werden somit privatisiert und individualisiert. Angst und Vereinzelung nehmen – sofern nicht gegengesteuert wird – unweigerlich zu. Das ist schon in dem Kinderspiel „Wer hat Angst vor’m Schwarzen Mann“ (dunkle Bedrohungsgestalt = Tod) einschüchternd aufgerufen.

Zwar ist es richtig, die Ausbreitung des Corona-Virus zu bremsen – was früher, auch durch massive Aufklärung und kostenlose Tests – hätte geschehen können, aber nicht jede Maßnahme ist verhältnismäßig (geeignet, erforderlich und angemessen), beispielsweise die Schließung von Bibliotheken und Mensen, und das vorher schon überforderte Gesundheitswesen ist der Herausforderung nicht gewachsen.

Hier rächen sich die vorangegangenen Privatisierungen, Kommerzialisierungen und Fallpauschalen der Krankenhäuser und Arztpraxen sowie die Reduzierungen der Gesundheitsämter bzw. des öffentlichen ärztlichen Dienstes.

Auch die erhebliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist unangemessen respektive die wesentliche Minderung eines Grundrechtes. Zudem sind z.B. ein Pandemiezuschlag auf Sozialleistungen, die Aussetzung der Sanktionen in Jobcentern sowie besondere Hilfen für Obdachlose weitaus wichtiger und hilfreicher als Steuernachlässe für Großunternehmen.

Erstaunlich: Emanuel Macron hat recht – das neoliberale Entwicklungsmodell ist fundamental zu hinterfragen. Darin besteht die sinnvolle Veränderung der engenden Normalität. Die Weitung betrifft ebenfalls die internationale Zusammenarbeit, insbesondere bei der Entwicklung und Anwendung von medizinischen Gegenmitteln bei erfolgter Erkrankung sowie eines Impfstoffes.

Der – grundrechtlich schwer bedenkliche – Ausnahmezustand sollte so bald wie möglich beendet werden. Die Verwirklichung der sozialen Demokratie geht uns Alle an.

Noch einmal Nils Minkmar:
„Nachdenken und diskutieren, wie es jetzt weitergeht nach dem Wahnsinn, den wir für Normalität hielten.“

Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen

Wir Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

(Heinrich Heine, 1854)