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Ethik und Emanzipation
Eine notwendige Einheit

„Wer braucht eigentlich die Wirtschaftsethik? Man könnte sagen: jeder, dem an einer wertgeleiteten Regulierung des wirtschaftlichen Handelns gelegen ist. Und der zugleich davon überzeugt ist, dass sich die Wirtschaft nicht am besten selbst reguliert oder dass andere Ordnungssysteme wie Recht und Politik das nicht viel besser können. Der in Lugano lehrende Wirtschaftsethiker Peter Seele hat an der besonderen Kompetenz der Wirtschaftsethik Zweifel: In mehreren Artikeln – beispielsweise anhand von Stellenausschreibungen und den Profilen von Fachzeitschriften – hat er aufgewiesen, dass die Wirtschaftsethik zunehmend ohne echte Ethiker auskommt.

In der Zeitschrift „Information Philosophie“ (Heft 4/2017) hat Seele der Wirtschaftsethik darum vorgeworfen, sie sei „zu einem Teil der Management-Theorie geworden“ und habe sich dem wirtschaftlichen Selbstzweck des finanziellen Erfolgs untergeordnet.“

Gerald Wagner, Botschaften aus der Win-win-Zone, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. April 2019.

Fast jeder Konzern hat mittlerweile eine Ethikrichtlinie, selbst die Deutsche Bank. Dies spiegelt eine wachsende kritische Öffentlichkeit. Das wesentliche Profitziel ist von dieser nominellen Ethik in der Regel unberührt; es geht vorrangig darum, nicht durch ein schlechtes Image als Gemeinwohlschädiger und durch strafbare kostspielige Regelverletzungen unter dem Strich ein schlechteres Geschäft zu machen. Manche Unternehmen bauen darüber hinaus darauf, Dienste und Waren für nachhaltigkeits-bewußte Kund_innen gewinnbringend zu vermarkten. Das kann Aspekte sozialer Verantwortlichkeit einschließen und ist dann besser als blanke Heuchelei.

Solange aber privater Profit mit gesellschaftlichen Bedürfnissen gemacht wird, kann die demokratische Bestimmung über die Inhalte von Produktionen und Dienstleistungen sowie über die Forschung, Entwicklung und die Arbeitsorganisation in diese unternehmerische „Ethik“ nicht eingeschlossen sein. Das Gewinninteresse einzelner Unternehmen oder Branchen überschattet den sorgfältigen Blick für das ganze Gemeinwesen und globale Zusammenhänge. Es bleibt so die Grenze der innerbetrieblichen Mitbestimmung und damit der Demokratie überhaupt. Die immer verbreitetere und von vielen befürwortete Qualifikation zum verantwortlichen, menschenfreundlichen und ökologisch bewussten Handeln wird letztlich doch an der Börse gehandelt – und damit pervertiert.

Der wachsende Widerspruch zwischen wachsenden öffentlichen ethischen Ansprüchen an „die“ Wirtschaft und deren Profitinteresse sollte weiter politisch aktiviert werden: Ist wirklich eine soziale Daseinvorsorge, gute Gesundheit, Bildung für alle, eine solide öffentliche Infrastruktur, ein friedlicher und gerechter Welthandel, eine nachhaltige Mobilität und Energiewirtschaft gewollt, gemeint, ins Werk gesetzt? Dafür lässt sich solidarisch, aufgeklärt, informiert und engagiert öffentlich streiten. Das eigentliche Maß jeder sinnvollen Ethik ist der gesellschaftliche Mensch. Der Mensch sei dem Menschen hilfreich und förderlich.

„Was ist aber diese große Aufgabe unserer Zeit? Es ist die Emanzipation. [...]. Mögen immerhin einige philosophische Renegaten der Freiheit die feinsten Kettenschlüsse schmieden, um uns zu beweisen, daß Millionen Menschen geschaffen sind als Lasttiere einiger Tausend privilegierter Ritter; sie werden uns dennoch nicht davon überzeugen können, solange sie uns, wie Voltaire sagt, nicht nachweisen, daß jene mit Sätteln auf dem Rücken und diese mit Sporen an den Füßen zur Welt gekommen sind.“

Heinrich Heine, „Reisebilder“, Kapitel XXIX, 1826.