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Bauliche Qualität, neoliberale Ignoranz, neue Erwartungen

Der Phil-Turm

Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen sich entscheiden: Sie könnten es machen wie diejenigen Kunsttheoretiker, die sich am Eigenwert des Ästhetischen festklammern, Hauptsache, die Kunst ist schön, politisch muss sie nicht sein. Sie könnten aber auch versuchen, sich dem großen Wandel zu stellen: mit einer Universität, die sich vor der Politik nicht drückt, mit Professoren und Studenten, die sich etwas trauen, die rausgehen, erklären, sich streiten. Dann bilden sie nicht nur die Wirklichkeit ab. Sondern werden zu Stimmen, die in einer Gesellschaft zu Recht Gehör finden.“

Manuel J. Hartung, Die Zeit, 22. Februar 2017, html.

Der Philosophenturm – eine Selbstverständlichkeit?

Das Gebäude wurde in den Jahren 1958 – 1962 errichtet. Es ist ein Vorgriff auf die Öffnung von Universität und Gesellschaft, die mit der studentischen Bewegung der „68er“ verbunden ist. Mehr Menschen sollten an wissenschaftlicher Bildung teilhaben. Zugleich sollte das Gebäude zeigen, daß damit eine Qualitätserweiterung verbunden ist, daß die vielfältige und vielfache geistig-kulturelle Auseinandersetzung mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft, Sprachen, Ländern, Literaturen, Medien und Weltanschauungen relevant ist. Daher sind die Hörsäle und der Eingangsbereich vertäfelt, ist mit schwarzen und rotem Granit gearbeitet worden und die Ausstattung der Seminare (Institute) ist großzügig angelegt.

Das geisteswissenschaftliche Zentrum der Uni ist hoch ohne dominant zu sein.

Innen – durch etliche „Modernisierungen“ eingeschränkt – öffnet sich ein helles Erdgeschoss, ein Eingangsbereich, der jahrzehntelang als eine Art Forum und Begegnungsstätte diente. (Hier bestärkten bis in die frühen 2000er ein Gremienraum, ein studentisch organisiertes „Volxcafé, ein Kiosk und eine – für Philturmparties hervorragend als Bar oder DJ-Pult nutzbare Garderobe – diesen Charakter, bis sie einer fehlenden Mensa ersatzlos weichen mußten.)

Die Seminargeschosse sind als Sinnbild demokratischer Hochschulbildung egalitär strukturiert: Büros von Professor_innen und Mitarbeiter_innen, Seminarräume, Bibliotheken, Geschäftszimmer und studentische Cafés sowie Fachschaftsräte sind regelmäßig auf einer Ebene.

Die Sicht auf die Stadt ist eine deutliche Anregung, sich dem gemeinsamen Leben in der Welt zuzuwenden. Die Nähe zur Erziehungswissenschaft ist ebenso gemeint und gewollt. So ist der Bau eine internationale wissenschaftliche Begegnungsstätte und immer wieder Ausgangspunkt studentischer Bewegung für Wissenschaft für eine menschenwürdige Welt.

Nun soll der Philturm saniert werden. Weil 20 Jahre neoliberale Politik heftige Spuren absichtlicher Vernachlässigung hinterlassen haben, soll dies in einem großen Kraftakt geschehen. Die Tätigen sollen für drei Jahre in den Überseering 35 – am besten unter Einschluß der Mensa des Studierendenwerks – umgesiedelt werden. Das ist nachdrücklich von vielen erkämpft.

Damit die Sanierung nicht eine „Modernisierung“ in der Art eines nachhängenden neoliberalen Dogmas wird, ist es vernünftig, sich der Geschichte und Substanz des Gebäudes anzunehmen. Auch die kritische Auseinandersetzung mit falschen Vorgaben ist erforderlich: Nach der Sanierung soll ein „Mieter-Vermieter-Modell“ das Gebäude in den Besitz der stadteigenen Sprinkenhof GmbH überführen. Diese Gesellschaft ist eher kommerziell getrimmt. Bisherige Planungen sehen eine „Verdichtung“ der Räume (Verkleinerung), die Auflösung der egalitären Institutsstruktur zugunsten einer Zentralbibliothek in den Geschossen 2-6, eine Konzentration aller Studienbüros im ersten Stock sowie eine Zusammenführung von studentisch verwalteten Räumen in einem neuen „Cube“ im Innenhof vor.

Dieser „Würfel“ in der Mitte könnte eine echte Aufhebung verlorener Kommunikativität und wissenschaftlicher Gemeinschaftlichkeit – mit Gremienräumen, Theater und Kino-Nutzung und Nutzflächen der Bibliotheken – werden. Zu überdenken wäre, wie einer Verengung durch Aufbauten auf den Hörsälen oder einer Erweiterung in das ehemalige Postgebäude in der Schlüterstraße zu begegnen wäre. Sowohl Studierendenzahlen als auch die der Mitarbeiter sind erheblich angewachsen. Zu fragen ist auch: Wie kommt der internationale Charakter des Turms mit den vielen Sprachen besser zur Geltung? Wie kann die kollegiale Einheit der Institute bestärkt statt aufgelöst werden? Wie werden die studentische Interessenvertretung und Kultur angemessen berücksichtigt? ...

Die schönste Gestalt ergibt sich aus einer guten Bedeutung. Diese müssen alle gemeinsam dem Bau wie der Wissenschaft (wieder-)geben. Der Philturm verdient erneute Aufmerksamkeit.