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Mit Zuversicht

Aus der Geschichte lernen

„1972, das Jahr, das vor genau einem halben Jahrhundert anfing, ist schon deshalb ein besonderes, weil selten so viele Versprechen der Moderne eingelöst wurden wie in diesem Jahr – Versprechen auf technologischen, ästhetischen und sozialen Fortschritt. Was nach 1945 vor allem in Europa als demokratisches Erneuerungsprojekt begonnen wurde, nimmt 1972 endlich konkrete Formen an: in Gegenständen, Gebäuden und Technologien, in Materialien und Design, in Filmen, Musikalben und Erzählungen. Das, was man mit dem etwas unscharfen Begriff Fortschritt bezeichnete, bedeutete nicht mehr nur die Strahlkraft des Neuen und technische Machbarkeit, sondern Demokratisierung, Teilhabe und Gemeinwohl, Emanzipation, Wohlstand und ein besseres Leben für alle. (…)
Gerade deshalb lohnt es sich in einer Zeit, in der Klimakrise und digitale Revolution grundlegend neue Formen des Zusammenlebens erfordern, das Jahr 1972 genauer anzusehen und zu fragen, welche Ansätze, welche unvollendeten Projekte dieser optimistischen Moderne heute wieder aufgegriffen werden könnten; was naiv war aber auch, welche Experimente zu Unrecht abgebrochen wurden, und wo man in der Folge falsch abgebogen ist.“

Niklas Maak, „1972“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 2.1.2022, S. 33. (Einleitungsbeitrag des Feuilletons zu diesem Thema).

„Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, hohe Vermögen stärker zu besteuern. ›Die Ampel hat es nicht geschafft, ein Konzept für mehr Steuergerechtigkeit vorzulegen‹, sagte der Vorsitzende Reiner Hoffmann gegenüber dpa am Montag. Notwendig seien eine Vermögensteuer sowie mehr öffentliche Steuereinnahmen durch eine Reform der Erbschaftssteuer und eine höhere Körperschaftssteuer. ›Eine Reform der Erbschaftsteuer wäre keine Steuererhöhung, sondern ein Subventionsabbau‹, sagte der DGB-Chef. Dadurch könnten für die öffentlichen Haushalte jedes Jahr zwischen fünf und sieben Milliarden Euro gewonnen werden.“

Simon Zeise, „Ampel spart bei den Reichen“, „junge welt“, 4.1.2022.

„Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will.“

Heinrich Heine, „Französische Zustände“, Artikel VI, 1832.

„Früher war alles besser“? – Nicht alles, aber manches, und es kommt darauf an, wie weit mensch zurückblickt oder worauf geschaut wird.
Nun denn also: Auf das Positive konzentriert, zeigen die 1960er und 1970er Jahre den (welt- weiten) Aufbruch von 1968, die Beendigung des Vietnam-Krieges, die Abschaffung der Prügelstrafe in Ausbildungsberufen, die soziale Öffnung der Hochschulen, den Ausbau des Sozialstaates, auskömmliche Tarife in den Arbeitsverhältnissen, eine lebendige Kultur (s.o.), klare inhaltliche Konturen in der politischen Kontroverse sowie eine höhere politische Bildung und Aufmerksamkeit in der Bevölkerung bzw. ein entsprechendes Engagement in vielen gesellschaftlichen Bereichen.
Liegengeblieben sind beispielsweise die wirkliche globale Abrüstung und die Abrundung der Hochschulreform (Finanzierung, demokratische Parität in den Gremien, dynamischer kritischer Gesellschaftsbezug). Politisch falsch abgebogen wurde schon mit dem Thachterism, den Reaganomics und der „geistig-moralischen Wende“ (Großbritannien, USA, Bundesrepublik Deutschland; Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Helmut Kohl) in den 1980er Jahren. Naiv war, nicht aufmerksam genug mit diesen negativen Gegenkräften gerechnet zu haben.
Mit den 1990er Jahren, mit dem Zerfall der sozialistischen Staaten als soziales Korrektiv der ungezügelten Ausbeutung, schien „das Ende der Geschichte“ gekommen zu sein. Das „Anything goes“ bzw. die „Eigenverantwortung“ übernahmen Politik, Land und (die Seelen der) Leute. „Die Globalisierung“ entfernte sich von fast allen Elementen der internationalen Solidarität.
Die globalen Krisen (Krieg, Armut, Umweltzerstörung) und die überall schmerzenden Ungleichheiten deuten aber unmißverständlich darauf hin, daß es so nicht gut weitergehen kann.
Deshalb ist es gut, sich an strukturell bessere Zeiten begründet zu erinnern, um eine gemeinsame und persönliche Perspektive für die Gestaltung der menschlichen Lebensbedingungen zu bilden sowie die damit verbundenen Ansprüche in eine neue Handlungsweise wirk- sam zu übersetzen.
Die Welt war nicht schon immer so, wie sie ist und muß auch nicht so bleiben.
Gleichfalls Wissenschaft, Kunst, Kultur und Politik können nützlich, vernünftig und gehalt- voll sein. Wir haben das Sinnvolle in der Hand. Jeder Versuch hat seinen Reiz.