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Dokumentation von Grundsatzpapieren zur Arbeit des Akademischen Senats (AS) aus dem Jahre 2008

„Zum Geleit“

Für eine Renaissance der Vernunft

„Die Krise besteht gerade in der Tatsache, daß das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“

Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 3 (1930), § 34, „Vergangenheit und Gegenwart“.

„Nötig ist also eins: Polarisierung. Du weißt Jean, sie gilt bei uns als verpönt. Doch kann sie alle redlichen demokratischen Kräfte stärken. [...] Wir müssen etwas wagen. Vor zwei Jahrhunderten schrieb der alte Lichtenberg: ›Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen - es muß anders werden, wenn es gut werden soll.‹“

Axel Eggebrecht an Jean Améry, September 1977.



Inhalt

0. Editorial
I. Zum Geleit XL - Frischluft oder Heiter trotz wolkig
II. Zum Geleit XLI - Aufgerafft oder Die Neubestimmung der Vernunft
III. Zum Geleit XLII - Volle Fahrt voraus mit der Kraft des Fatalismus?
IV. Zum Geleit XLIII - Mit den Hunden bellen oder sich den Zeitläuften stellen?
V. Zum Geleit XLIV - Schlicht und ergreifend: Aus der Geschichte lernen.
VI. Offener Brief zur abgesagten Sitzung im Juli 2008 - Wie schön ist die Welt wirklich?
VII. Gemeinsames Flugblatt - Gegen die Absicht der Zerstörung
VIII. Zum Geleit XLV - Ist in der Krise alles auf der Höhe?
oder
Heinrich Heine zu Frau Schavan

IX. Offener Brief zum „Board of Mentors“
X. Offener Brief an die AS-Mitglieder zum Jahrestag der „Reichspogromnacht“
XI. Zum Geleit XLVI - Der schiefe Turm von Hamburg
oder
Die Stiefkinder der Ökonomie


0. Editorial

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kann Polarisierung eine vernünftige Perspektive schaffen?
Wenn humanistische Rationalität durch die entfesselte und destruktive private Ökonomie und die einengende Restauration konservativer „Werte“ („Nation“, „Exzellenz“ und überwachende „Sicherheit“) systematisch drangsaliert wird, kann die Seite der Vernünftigen gar nicht entschieden genug eingreifen. Acht Jahre rechte Senate in Hamburg haben in der Stadt und in der Universität für reichlich geistige Stickluft gesorgt. Ginge es rein nach dieser pseudo-modernen Obrigkeit - und es geht viel zu häufig nach ihrer Religion -, dann würde allerorten nur der Götze des „Erfolges“ (Aufstieg und Output) angebetet. Die Doktrin, derzufolge nur das, was sich rechnet, bleiben darf, entwertet die Erkenntnisse von 250 Jahren Aufklärung und erkämpfte soziale und kulturelle Hervorbringungen. So soll auch an der Universität die streng hierarchisierende ökonomische Verwertung Demokratie, soziale Offenheit und Wissenschaft im Dienste kultureller und sozialer Emanzipation aller Menschen verdrängen.

Diese technokratische Politik wird an der Universität insbesondere von Präsidentin Monika Auweter-Kurtz und Kanzlerin Katrin Vernau repräsentiert und betrieben. Die eine ist Raketeningenieurin mit guten Kontakten zu Rüstungs(-forschungs)-Einrichtungen und bewegt sich unter der schirmenden Hand der CDU-Bundesforschungsministerin Anette Schavan; die andere kommt von der neoliberalen Unternehmensberatung Roland Berger. Diese Positionen produzieren eine spontane Abneigung gegen Egalität, Diskussion und Humor. Der Akademische Senat könnte als Gremium eine aussichtsreiche Alternative dazu sein.

Die hier zusammengestellten Publikationen „Zum Geleit“ sollen zur Herausbildung dieser Alternative anregen. Wir publizieren sie regelmäßig anläßlich der Sitzungen des Akademischen Senats (AS), des verbliebenen übergreifenden Gremiums universitärer Mitbestimmung. Unser Rückgriff in die Geschichte der Emanzipationskämpfe, in humanistische Literatur, Künste und Wissenschaften soll in diesem Zusammenhang Aussicht für notwendiges kooperatives und streitbares Engagement schaffen, denn: „Wenn Menschen widerstehen, handeln Tatsachen“ (Heinrich Mann).

Wir wünschen eine anregende Lektüre.

Liste LINKS,
harte zeiten - junge sozialisten,
Fachschaftsbündnis


I. Zum Geleit XL

Zur AS-Sitzung am 24. Januar 2008

Nicht immer gelingt es der obersten Leitung der Universität, mit geschäftsmäßigem Pragmatismus die Verwaltungsroutine dominieren zu lassen. Unsere Initiative bewirkt, daß sich einige Mitglieder des Akademischen Senats (AS) an ihre Verantwortung für eine soziale und zivilisierende Entwicklung der Universität erinnern. Auf Basis vorangegangener Beschlüsse für die Gebührenfreiheit des Studiums beschließt der AS, die Verwaltung aufzufordern, unrechtmäßig ergangene Exmatrikulationen gegen Gebühren-boykottierende Studierende aufzuheben. Er fordert die Behörde für Wissenschaft und Forschung auf, sich der sozialen Realität durch eine Erweiterung der Befreiungstatbestände zügig zu stellen.

Frischluft
oder
Heiter trotz wolkig

1) Der Sinn des Lachens

„Nun sind aber die Lebensgewohnheiten im bürgerlichen Haushalt keinem Wechsel der Geschichte unterworfen; ›der bürgerliche Haushalt wird nur deshalb betrieben, damit der archäologische Forscher noch heute die Arbeitsmethoden der Steinzeit studieren kann‹ (Sir Galahad). Hier eingreifen stößt auf Mord. Keine Zeitung, die es wagen könnte, eine wettersichere Grubenlampe hinunterzulassen - das Geschrei von Hausfrauen, klavierübenden und gesangsheulenden Damen beiderlei Geschlechts, von organisierten Tierfreunden und reinemachewahnsinnigen Besessenen dampfte ihnen entgegen. In meiner Wohnung kann ich machen, was ich will - das wäre ja gelacht. [...]
In der Stickluft dieser ungelüfteten Treibhäuser gedeihen die Mikroben der Religion, des Berufskostüms und des Vaterlandes.“

Kurt Tucholsky, „Traktat über den Hund sowie über Lerm und Geräusch/2. Satire“, 1927.

Lachen befreit von Seelenschnüren und lüftet die Gedanken. Nichts muß sein, wie es ist. Davon berichtet die Satire. Hier künden Tränen nicht von Verlust, sondern von Gewinn. Heiter trotz wolkig.

2) Ein jeder kann es

„›Alle streben doch nach dem Gesetz‹, sagte der Mann, ›wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?‹ Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: ›Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.‹“

Franz Kafka, „Vor dem Gesetz“, 1914 (Teil des Prozeß-Romans).

Der Mann in der Parabel versucht sogar, die Flöhe im Pelz des Türhüters zu beeinflussen, um den Wächter zur Erlaubnis des Eintretens zu bewegen.
Nichts, außer den Drohungen, die ein fester psychologischer Bestandteil des eigenen Nicht-Könnens sind, halten den Mann davon ab, durch das Tor (Gesetz/Gerechtigkeit) zugehen. Wir müssen also „einfach nur“ gehen. Nach dem Lachen kommt die Bewegung.

3) Der nähere Sinn

„General, der Mensch ist sehr brauchbar.
Er kann fliegen und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.“

Bertolt Brecht, „General, Dein Tank ist ein starker Wagen“, „Svendborger Gedichte“, 1939.

Wenn die Wahrheit sich nicht töten läßt, ist der Krieg eine schwierige Sache, die nicht einfach zu machen ist.
Die Reihenfolge ist so: Lachen, Bewegung, Frieden.
Heiterkeit ist grenzenlos.

4) Das Ende des Verzichts

„Der Witz ist der Finder und der Verstand der Beobachter.“ (1288)

Georg Christoph Lichtenberg, „Einfälle und Bemerkungen“, Heft J, 1789-1793.

Wer finden will, muß Ausschau halten. Entdeckungen macht, wer unzufrieden ist. Der Humor ist der Indikator für die Alternative.
Nichts muß so sein und bleiben, wie es ist. Das ist allerdings immer so.


II. Zum Geleit XLI

Zur AS-Sitzung am 6. März 2008

Hamburg hat neu gewählt. Das Ergebnis der Bürgerschaftswahl macht vor allem deutlich: „Rettung von Oben ist nicht zu erwarten“. Allerdings könnte eine Fortsetzung oppositionellen Engagements (vor allem im Bildungsbereich) bewirken, daß die CDU nicht wieder Regierungspartei wird und daß soziale Reformen statt neoliberaler Destruktion die Politik bestimmen. Die Universität hat in besseren Zeiten für ihren Bereich eindeutige Forderungen (z.B. Gebührenfreiheit und eine bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung, Wiederherstellung der Hochschuldemokratie etc.) aufgestellt. Es müßte gelten:

Aufgerafft
oder
Die Neubestimmung der Vernunft

1) Naheliegende Korrekturen

„(30) Trost
Nie verläßt uns der Irrtum, doch zieht ein höher Bedürfnis
Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.“

Friedrich Schiller, „Tabulae Votivae“, Gedichte 1795-1802.

Wer bislang den Glauben verfestigt hat, nur Mitmachen sei vernünftig, halte inne, schaue um sich und prüfe, was aus dieser Welt derweil geworden ist und ob daran nicht etwas und etwas mehr zu ändern wäre. Er (oder Sie) wird Verwandte dabei entdecken.

2) Zu behebende Unterschiede I

„Das Land, in dem man Milch und Honig schlürfte,
Wir suchen’s alle, doch wir finden’s kaum -
Drum gaukeln wir uns vor im Traum,
Als ob es so was wirklich geben dürfte.
Ach, wenn ich es im Wachen wiederfände -
Da ist es hübsch und angenehm zu sein!
Der Flüchtling findet hilfsbereite Hände.
Er kauft sich ein.
Kann so was sein?
Jawohl: in Liechten - meinem Liechtenstein.“

Klaus Mann, „Liechtenstein“, 1933; Text für die „Pfeffermühle“, das Kabarett seiner Schwester Erika.

Dem Lande entgehen, nicht erst seit gestern, Mittel für Bildung, Gesundheit, Kultur, soziale Vorsorge und Verkehrswege auf stillen und verstohlenen Wegen.
Das ist mehr als ein Kavaliersdelikt. Allgemeiner Schaden verlangt spezielle Ahndung sowie die Präzisierung der kritischen Maßstäbe.

3) Zu behebende Unterschiede II

„Schade, daß das Wort Fleisch
Allein noch nicht sättigt, schade
Daß das Wort Anzug so wenig warm hält.“

Bertolt Brecht, „Notwendigkeit der Propaganda“, Gedichte 1934-1939.

Wer die Gelegenheit hatte, den vertrauensvoll lächelnden Bürgermeister zu entdecken, sollte sich fragen, wie dieser präsentierte Frohsinn mit der gewachsenen Not der letzten Jahre zu vereinbaren ist. Gegensätze bilden das perspektivische Denken und sind eine Schulung für das tätige Erkennen.

4) Engagement

„Heiteres, etwas nebliges Herbstwetter. - Das Ergebnis der Zürcher Wahlen läßt die Verhältnisse beim Alten, d.h. eine große sozialdemokratische Majorität bleibt bestehen. Die ›Nationalen Fronten‹ erhalten 9 Sitze. [...] Der Ausgang der Wahlen ist günstig für Erikas Kabarett, gegen das schon hakenkreuzlerische Drohungen laut geworden waren.“

Thomas Mann, Tagebucheintragungen vom 25. September 1933.

Politik ist eben günstiger oder ungünstiger für Wissenschaft, Kunst und das soziale Leben. Die Realisierung der Menschenwürde bedarf des Engagements aller. Drohungen dagegen verdienen keinerlei Gültigkeit. Geltung, wem Geltung gebührt.


III. Zum Geleit XLII

Zur AS-Sitzung am 10. April 2008

Der AS nimmt hochschulpolitisch leider nicht öffentlich Stellung. Aber Studiengebühren bleiben ein Thema mit sozialem und kulturellem Sprengstoff. Hier wird gegen die soziale Ignoranz von CDU-Senat und Uni-Präsidentin um Möglichkeiten der Befreiung gerungen. Für weitere Themen von humanem Wert - Demokratie, geschichtsbewußte kulturelle Aktivitäten der Universität, eine kämpferische Positionierung gegen Unterfinanzierung und gängelnde „Ziel- und Leistungsvereinbarungen“ mit der Behörde - stößt kein Mitglied des ehrenwerten Gremiums die Tür auf. Da ist zu fragen:

Volle Fahrt voraus mit der Kraft des Fatalismus?

1) Erstes Dogma: Bleibe!

„Mein Großvater pflegte zu sagen: »Das Leben ist erstaunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drängt es sich mir so zusammen, daß ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschließen kann ins nächste Dorf zu reiten, ohne zu fürchten, daß - von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen - schon die Zeit des gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für einen solchen Ritt bei weitem nicht hinreicht. «“

Franz Kafka, „Das nächste Dorf“, wahrscheinliche Entstehung 1917.

Wenn auch die Erde in der Vorstellung der überwiegend meisten Menschen realitätsnah zu einem Rundkörper geworden ist, gelten vermehrt wieder die Maßstäbe der Bescheidenheit. Der gesellschaftliche Mensch wird privatisiert. Freiheit sei Entsagung. Das Dorf hat vier Wände.

2) Zweites Dogma: Ertrage!

„Es ist wahr, daß bei den Menschen, die ihm den Pfeffer gaben - ich sagte bereits wohin -, das erste Unrecht liegt; aber der gequälte Esel ist deshalb kein weniger häßliches und böses Tier, denn die verzweifelten Schreie enthüllen alles, was an Arroganz, Neid, Frechheit, gemeiner Heimtücke, an besonderer Falschheit und sogar Verschlagenheit verborgen war in den Eingeweiden dieses absurden Wesens, das gewöhnlich so demütig war, das die Stockschläge mit so rührender Bescheidenheit ertrug, das diese feierliche Gewöhnlichkeit besaß, die man immer mit einer gewissen Anständigkeit verbunden glaubte, das zu dumm, zu geschmacklos, zu albern war, als daß man es nicht hätte für ehrlich halten können, das immer zu sagen schien: ich bin ein Dummkopf, also bin ich ehrlich, ich habe keinen Geist, also habe ich einen ehrlichen Charakter, und das es wirklich erreichte, manchmal ehrlich genannt zu werden ...“

Heinrich Heine an Alexandre Dumas (den Älteren), Paris, 8. Februar 1855.

Wer erst dann Laut gibt, wenn schon fast alles zu spät geworden ist, hat große Schwierigkeiten verständnisvolles und hilfreiches Gehör zu finden. Angestautes Leid schafft schrille Töne. Schöner ist frühes Sprechen.

3) Drittes Dogma: Neurotisiere!

„Wer weiß, ob man mitten im Symphoniekonzert nicht doch plötzlich auf die Toilette muß, oder ob man das Schloß beim Nachprüfen nicht irrtümlich aufgeschlossen hat? Der Vernünftige meidet daher scharfe Messer, öffnet Türen mit dem Ellenbogen, geht nicht ins Konzert und überzeugt sich fünfmal, daß die Tür wirklich abgesperrt ist. Voraussetzung ist allerdings, daß man das Problem nicht langsam aus den Augen verliert.“

Paul Watzlawick, „Anleitung zum Unglücklichsein“, 1983, S. 55.

Der Händewaschzwang hat viele Verwandte. Sie kommen alle aus der Familie des Kontrollwahns, der ein Alltagsmärchen wirklicher (aufgeklärter und kooperativer) Gestaltung ist. Fragen Sie nicht Ihren Apotheker, sondern aufmerksame Mitmenschen (unter denen wiederum auch Apotheker sein können).

4) Viertes Dogma: Ignoriere!

„Was heute not täte, wäre ein militanter Humanismus, welcher gelernt hat, daß das Prinzip der Freiheit und Duldsamkeit sich nicht ausbeuten lassen darf von einem schamlosen Fanatismus; daß er das Recht und die Pflicht hat, sich zu wehren.“

Thomas Mann, „Humaniora und Humanismus“, 1936 (!).

Es heißt, bedachte, erbe-reiche, weit gefaßte und engagierte verallgemeinerungswürdige Menschlichkeit sei nicht geschäftstüchtig, unzeitgemäß, zum Leben nicht geeignet, spinnert, unpraktisch, nervtötend, gerade nicht möglich, auf den Feierabend zu beschränken, vielleicht ehrenwert - aber ...
Nach so viel alternativlos scheinenden Quälereien ist allerhand Mißtrauen angebracht. Achtung beginnt mit Aufmerksamkeit.


IV. Zum Geleit XLIII

Zur AS-Sitzung am 8. Mai 2008

Der rücksichtslose Anordnungsstil der Universitätsleitung wirkt allgemein sehr verärgernd. Der Akademische Senat läßt sich ermuntern, kritisch zu der künftigen Wirtschaftsplanung (Kürzungen und Umverteilung zugunsten der ökonomisch relevanten Bereiche) Stellung zu nehmen. Intensiv diskutiert wird die zukünftige Bedeutung der Ausschüsse des AS und damit die Möglichkeiten der kritischen Einflußnahme der Universitätsmitglieder. Die wirtschaftsnahen Damen im Präsidium sind wenig erfreut.

Mit den Hunden bellen oder sich den Zeitläuften stellen?

1) Selbstschädigender Eskapismus

„K.o.-Saufen nimmt zu
Die Entwicklung beim Alkoholkonsum bei jungen Menschen ist nach dem jüngsten Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung besorgniserregend. Das vorsätzliche Betrinken hat bei Jugendlichen demnach stark zugenommen. 2005 gab ein Fünftel der befragten Jugendlichen an, mindestens ein Mal im Monat fünf oder mehr alkoholische Getränke hintereinander getrunken zu haben. 2007 waren es bereits 26 Prozent.“

„tagesschau.de“, 5.5.‘08.

Wer die Jugend mit ihren derzeitigen Sorgen respektive den verstellten Hoffnungen ernst nimmt, weiß, wie es mit uns allen bestellt ist. Wer nicht weiter sieht als bis zum nächsten Tag, bleibt immer am Tage verhaftet und gerät leicht auf (kollektive Abwege. Mutig ist nicht, lediglich pragmatisch zu sein. Bachelor und Master gehen allen auf die Nerven.

2) Noch so ein Gift

„Die Kehrseite der Anpassung ans Unerträgliche ist die Verschrobenheit. Man hat Riten der Absonderung entwickelt, man scheut nicht den Ruf eines Menschenfeinds. Spleen heißt jene ausgeklügelte Form der Narrheit mit ihrem starken Beischuß von Grausamkeit.“

Peter Hacks, „Zur Romantik“, „Englisches Herkommen“/„Ein romantischer Autor ist ein Autor, der die englische Literatur gelesen hat“, 2000.

Drogenhaft ist allenfalls auch die Literatur, die den Arzt in „Immer Ärger mit Harry“/„The trouble with Harry“ (1959, Alfred Hitchcock), laut lesend durch die sommerliche Natur wandelnd, über die Leiche stolpern läßt, freilich ohne sie wirklich zu bemerken.

3) Produktive Anregungen

„Dem Herren in der Wüste bracht‘
Der Satan einen Stein
Und sagte: Herr, durch deine Macht
Laß es ein Brötchen sein!

Von vielen Steinen sendet dir
Der Freund ein Musterstück,
Ideen gibst du bald dafür
Ihm tausendfach zurück.“

Johann Wolfgang v. Goethe, „An Schiller/mit einer mineralogischen Sammlung“, Lyrische Dichtungen, Weimar 1794-1797.

Kleine Felsbrocken sind nicht nur etwas Handfestes, sondern auch - den Zusammenhang geistiger Kooperation vorausgesetzt - Sendboten weiterer Erörterungen.
Wenn ein Problem vorhanden ist (es ist stets gemacht), können in jedem Fall Lösungen gefunden werden

4) Unweigerliche Einmischung

„Von Natur neige ich mich zu einem gewissen Dolce far niente, und ich lagere mich gern auf blumige Rasen und betrachte dann die ruhigen Züge der Wolken und ergötze mich an ihrer Beleuchtung; doch der Zufall wollte, daß ich aus dieser gemächlichen Träumerei sehr oft durch harte Rippenstöße des Schicksals geweckt wurde, ich mußte gezwungenerweise teilnehmen an den Schmerzen und Kämpfen der Zeit, und ehrlich war dann meine Teilnahme, und ich schlug mich trotz den Tapfersten ...“

Heinrich Heine, „Über die französische Bühne. Vertraute Briefe an August Lewald“. 1838. Neunter Brief.

Die Melancholie ist die Schwester des Himmelschauens, und beide gehören sie zur Familie der gefühlvollen Ich-Verlorenheit, die dem Kriege so leicht gewogen macht.
Das kleine Ego wird schnell vom „Großen und Ganzen“ („Du bist ...“) verschluckt.
Kritische Wachsamkeit vermeidet so manchen Rippenstoß.
Mit ehrlicher (An-)Teilnahme ist das Beste getan.


V. Zum Geleit XLIV

Zur AS-Sitzung am 12. Juni 2008

Sehr artig nimmt der AS den Antrittsbesuch des neugewählten Vorsitzenden des Hochschulrats, Prof. Wagner, auf. Eigentlich könnten hier die Früchte eigenen kritischen Eingreifens geerntet werden. An die Stelle einer trocken konservativen Wirtschaftvertreterin, Dr. Doris André von British American Tobacco, findet sich hier ein zögerlicher Freund von Friedenswissenschaft in entscheidender Position ein. Die so entstandenen Möglichkeiten bleiben ungenutzt. Allerdings spricht sich der AS für einen „Rat für Wissenschaftsethik“ aus, den insbesondere die mitbestimmungsfeindliche Kanzlerin ablehnt. Unsere Initiative für die Wiedereinrichtung eines Bauausschusses scheitert vorerst knapp. Was fehlt?

Schlicht und ergreifend: Aus der Geschichte lernen

1) Ab und auf I

„Das neue Jahr ist vor der Türe, und wenn das alte Jahr sich nicht bald fortmacht, so würde ich es herausschmeißen; es ist eines der miserabelsten Jahre gewesen. Ich hoffe, daß das neue Jahr besser sein wird, und gratuliere Dir zu seiner Eröffnung.“

Heinrich Heine an Betty Heine, Paris, den 30. Dezember 1855.

Der Mensch lebt nicht ohne Hoffnung. Das Neue ist meist bzw. bestenfalls mit dem Anspruch auf Besserung verknüpft. Wer sich nicht hinters Licht führen läßt, kann diese Verknüpfung Tat werden lassen.

2) Was ist zu lernen?

„Haben Sie Ohren, Herr Professor? Dann hören Sie, wie es gewesen ist. Und pfeifen Sie auf die Lügen der Offiziellen. Und sagen Sie Ihren Zeitgenossen, wie es ausgesehen hat in der deutschen Kriegsmarine und im ganzen Heer und in ganz Deutschland - und was der einfache Mann gelitten hat und was der komplizierte, gerissene Mann gesoffen und verdient hat - sagen Sie es! sagen Sie es! Damit die Menschen lernen. Damit sie sich von Ekel geschüttelt abwenden. Damit sie ihre Kinder in der Gesinnung des Friedens aufziehen und nicht verkommen lassen als uniformierte Akademiker, als Richter dieser Qualität, als Offiziere dieser Beschaffenheit.“

Kurt Tucholsky, „Wie war es-? So war es-!“, 1928.

Das Nein ist ein Ja. Der Krieg ist - allen Eiferern zum Trotz - nicht menschenwürdig. Eine Welt ohne Ekel ist eine Welt des Genusses.

3) Ab und auf II

„Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

Bertolt Brecht, Schlußchor des „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“, 1943.

Oben und Unten sind vergängliche Relationen. Ist die Ehrfurcht vor dem Oben geschwunden, gibt es kein Unten mehr. In aufrechter Haltung entstehen neue Sichtweisen, Handlungen und Strukturen. Dem Menschen genehm.

4) Die Nacht zum Tage

„In einem Zeitalter, dessen erbarmungslose Sucht nach dem Neuen und endloser Neubewertung von allen Seiten unablässig Druck erzeugt, bleiben noch die Nächte. Die Nacht bereichert den Geist und lässt uns nach der täglichen Angst vor dem Blick nach vorn einen erfreulichen Blick in die Vergangenheit tun.“

Sir Peter Ustinov, „Nachtgedanken“, 1995.

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da...
Das „Neue“ als der hysterische Quartalsbericht (Sektkorken), die Kennziffer, die neueste Mode oder Waschmittelreklame trägt etwas bänglich Geschichtsloses oder die ständige Angst, zu versagen.
Der Blick zurück nach vorn läßt bislang ungeahnte Möglichkeiten entstehen. Heiter.


VI. Offener Brief an das Uni-Präsidiums und den AS

Zur abgesagten AS-Sitzung vom 10. Juli 2008

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...
Die Juli-Sitzung wird von der Präsidentin - angeblich aus Mangel an Tagesordnungspunkten - abgeblasen. Am selben Tag titelt das Hamburger Abendblatt: „Uni-Neubau: Entscheidung schon im Frühjahr“. Das ist nicht die einzige erhebliche Zumutung eines rasend-ratlosen konservativen Politikerklüngels in der Stadt. Um sich weder einschüchtern, noch von der gemeinsamen Verbesserung der Lage ablenken zu lassen, bedarf es einer nüchternen Analyse:

Wie schön ist die Welt wirklich?

„Mephistopheles (in Fausts langem Kleide):
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab’ ich dich schon unbedingt -
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erden Freuden überspringt.
Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zugrunde gehn!
Ein Schüler tritt auf.“

Johann Wolfgang v. Goethe, „Faust I/Studierzimmer“, 1808.

Sehr geehrte Verantwortliche und Entscheidungsträger -

Sie haben zu einer Zeit, in der unabweisbar deutlich wird, daß nicht zuletzt die Wissenschaften zur Lösung globaler Probleme (siehe „G8-Gipfel“/Energie und Ernährung), allerdings ebenso zur Überwindung bundesweiter wie regionaler Unhaltbarkeiten (Tötung eines alten Menschen per Giftbecher; Tötung jüngster Menschen durch Wurf aus dem Fenster) erheblich beitragen müßten und könnten, leichterhand die anberaumte Sitzung des Akademischen Senats am 10. Juni auf die Anweisung der Präsidentin hin ausfallen lassen. Die nächste Sitzung soll erst am 23. Oktober stattfinden.

Selbst wenn Ihnen nicht diese Menschheits- und Menschenfragen im Blick sein sollten für die Aufgaben der Universität, ihrer Mitglieder und ihrer Gremien - mithin auch der Wissenschaften und ihrer Selbstverwaltung -, so könnten Sie ein verantwortliches Bewußtsein für die „näheren“ Fragen der Universitätsentwicklung zur Anwendung bringen.

Der Struktur- und Entwicklungsplan (STEP) der Universität - kein originär souveränes Thema?
Die widersinnigen Studiengebühren - strukturell und politisch gegen die Mehrheit -: kein Gegenstand für den Akademischen Senat (AS)?
Die wüsten Baupläne der Senatorin und die geschichtsflache Befürwortung durch die Präsidentin - kein Tagesordnungspunkt des AS?

Wer die Relevanz dieser (und anderer Themen) verneint, beweist realitätsferne Willkür bzw. flüchtet den demokratischen Dialog am dafür vorgesehenen Ort.

Die Universität ist weder ein Kasernenhof noch ein autoritärer Großbetrieb und sollte sich demokratischer verhalten als die CDU.

Mit neuzeitlichen Grüßen

Golnar Sepehrnia und Olaf Walther


VII. Gemeinsames Flugblatt

Zur abgesagten AS-Sitzung vom 10. Juli 2008

Gegen die Absicht der Zerstörung

Die Universität muß bleiben, um sich positiv zu entwickeln

„Aus Lügen werden durch längeren Gebrauch - nicht Wahrheiten, aber Tatsachen.“

Heinrich Mann, „Zur Zeit von Winston Churchill“, 1944, S. 21.

Die CDU Hamburgs, ihre „neue“ Wissenschaftssenatorin Gundelach und die ebenso notorisch konservative Uni-Präsidentin Auweter betätigen sich mit den Überlegungen zur Zerstörung der Universität und ihrer retortenmäßigen Neuerrichtung in der seelenlosen Hafencity als politische Gegnerinnen aufgeklärter Politik und (akademischer) Kultur. Als devote Handlagerinnen der Handelskammer verfolgen sie das Programm der marktkonform wuchernden Stadt. „Glanz“ (Elbphilharmonie) und „Gloria“ (Tamm-Museum) für große Geschäfte und die dazugehörige Elite sollen das kalte Zentrum der Stadt prägen. Die Bevölkerung soll in ihrer überwiegenden Mehrheit den Prinzipien der geschäftsmäßigen Instrumentalisierung und konformen Qualifizierung unterworfen und ansonsten polizeilich und kulturell „befriedet“, sozial bedrängt und - wenn nötig - verdrängt werden. Nicht zuletzt aus der Universität hat dieses menschenverachtende Programm Gegenwehr erfahren. Der fortgesetzte Kampf gegen die Gebühren ist hierfür exemplarisch.

Gleichsam instinktiv und von den großen Geschäften getrieben wird deshalb auch nach den Neuwahlen im Februar wesentlich nicht von dem zerstörenden neoliberalen Kurs aufreibender „Reformen“ Abstand genommen. Konservativ kann auch bräsig bedeuten.

Der Campus der Universität und all seine Gebäude haben in den letzten drei Jahrzehnten viel zu wenig systematische Pflege und Entwicklung erfahren. Das läßt sich ändern. Aber die Substanz dieser Anlage zeugt von dem gesellschaftlichen Aufbruch v.a. der 1960er und 1970er Jahre. Das Audimax symbolisiert vorausahnend mit seiner transparenten und leichten Architektur die Absicht der Demokratisierung der Universität und ihrer Öffnung für die ganze Gesellschaft nach 1945. Der Phil-Turm ist teilweise mit hochwertigen Baustoffen (Granit und Edelhölzer) und einer funktionalen Architektur darauf ausgerichtet, die soziale Öffnung der Universität zur „Massen-Hochschule“ als eigene Qualität zu würdigen. Das PI hat nur einen Hörsaal, weil tendenziell egalitäre Lehr-Lernformen (Seminare) die hierarchisch-frontale Beschallung in Vorlesungen ablösen sollten. Die Hörsäle des PI und des Hauptgebäudes sind zum mahnenden Gedächtnis nach WissenschaftlerInnen benannt, die nach 1933 unter rassistischer und politischer Verfolgung zu leiden hatten (Anna Siemsen, Ernst Cassirer et. al.). Dieses - nur unvollständig dargestellte - Ensemble, ist ein lebendiger und entwickelbarer Ausdruck sozialer und humanistisch orientierter Kämpfe für gesellschaftlich verantwortliche Bildung und Wissenschaft: für Alle.

Schon der Gedanke an die Plünderung, Verscherbelung und Zerstörung dieses Erbes ist Kulturbarbarei. Sie demonstriert, welche positive Wirksamkeit dagegen kritisches Geschichtsbewußtsein, sozialer Einsatz und menschenfreundliche Künste haben: Vernunft und Schönheit schränken die rücksichtslose Durchsetzung des totalen Marktes ein, sind zentrale Elemente der menschlichen Emanzipation und tragen somit den Keim des wahrhaft Neuen und Humanen in sich. Auf dieser Seite findet sich die Grundlage einer perspektivreichen Handlungsweise. Alles was dagegen gerichtet ist, schadet gesellschaftlich und persönlich und verdient daher uneingeschränkte solidarische Opposition. Daran soll es nicht fehlen. Die Marktfrommen haben sich gewaltig verrechnet.


VIII. Zum Geleit XLV

Zur AS-Sitzung am 23. Oktober 2008

Die Ferien sind vorbei und Welt und Universität sind zwischenzeitlich noch nicht automatisch genesen. Es gibt Leute, die das wundert. Unklug und peinlich ist auch, die Krise mit den Mittel zu beantworten, die sie herbeigeführt haben. Deshalb will die Präsidentin noch weniger, daß (mit ihr) diskutiert wird und bleibt fern. Da sie in der Universität keine Bündnispartner findet, sucht sie neue in „der Wirtschaft“ und gründet ein „Board of Mentors“ (s. Kap. IX). Der AS tastet sich an die großen Konfliktthemen (Wirtschaftsplan 2009/10, Uni-Verlagerung, Studiengebühren) zögerlich heran. Wenn alles in Bewegung kommt, dann ist es besonders hilfreich zu wissen, wo vorne und wo hinten ist.

Ist in der Krise alles auf der Höhe?
oder
Heinrich Heine zu Frau Schavan

1) Zeigende Bausteine?

„Der Bund hat Aufstiegsstipendien eingerichtet und im übrigen die Stipendien für alle Begabtenförderungswerke deutlich erhöht. Das sind einige Bausteine, die zeigen, dass eine Maßnahme alleine nicht ausreicht.“

Anette Schavan (CDU) Bundesministerin für Bildung und Forschung, im Gespräch mit tagesschau.de, 22.10.2008.

Frau Schavan, die auch gern mal kürzere Dienstreisen mit dem Flugzeug macht, will aus dieser Höhe nicht zur Kenntnis nehmen, daß nicht nur PISA- und OECD-Studien, sondern sogar auch eine eigens von ihrem Ministerium in Auftrag gegebene Untersuchung belegen, was profund zur massenhaften Alltagserfahrung in dieser unserer Gesellschaft gehört: Die Kluft sozialer Ungleichheit, die politisch gesellschaftlich vergrößert wird, wächst ebenso durch die sogenannten Reformen im Bildungssystem. Siehe!

2) Notwendiger Vertrauensschwund

„Ja, mich dünkt zuweilen, der Adel und die Jesuiten existieren nur so lange, als man an sie glaubt.“

Heinrich Heine, „Reise von München nach Genua“, 1828.

Einengung folgt aus rigidem Regiment. Das tut nicht wohl.
Drangsal beruht auf Glauben, den jeder kennt. Der Gegenpol
Ist die Erschütterung der Seligkeit im Wachen und im Träumen:
Kaum sieht man klar und neu, versinkt die Ehrfurcht unter brodelnd Schäumen.

3) Kleider und Ordnung

„Was wir nicht erkennen können, hat für uns keinen Wert, wenigstens keinen Wert auf dem sozialen Standpunkte, wo es gilt, das im Geiste Erkannte zur leiblichen Erscheinung zu bringen.“

Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, 1834.

Wenn der Kaiser - übrigens: schon seit längerem - nackt ist, sei dies unverbrüchlich ausgesprochen und dem frierenden Regenten eine Wolldecke gereicht. Danach übernehme man die Amtsgeschäfte - republikanisch, versteht sich - und ordne das allgemeine Leben neu.

4) Erweiterung des Horizontes

„Ja, wie im Mittelalter alles, die einzelnen Bauwerke ebenso wie das ganze Staats- und Kirchengebäude, auf den Glauben an Blut beruhte, so beruhen alle unsere heutigen Institutionen auf den Glauben an Geld, auf wirkliches Geld. Jenes war Aberglauben, doch dieses ist der bare Egoismus. Ersteren zerstörte die Vernunft, letzteren wird das Gefühl zerstören. Die Grundlage der menschlichen Gesellschaft wird einst eine bessere sein, und alle Herzen Europas sind schmerzlich beschäftigt, diese neue bessere Basis zu entdecken.“

Heinrich Heine, „Die romantische Schule“, 1835.

Die spekulative Ungehaltenheit ist ein strukturelles Problem.
Eine menschenwürdige Gesellschaft bedarf des kultivierenden Einsatzes der dafür zu schaffenden Mittel.
Die Opposition zur Mühsal schafft Bedingungen für die Erweiterung der Existenz.
Siehe!


IX. Einrichtung eines „Board of Mentors“?

Hamburg, den 06. Oktober 2008

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Konvent
(1) Mindestens einmal im Semester kommt der Konvent zur Erörterung von Grundfragen der gesamtuniversitären Entwicklung in ihrem historischen, sozialen und regionalen Umfeld zusammen.
Seine Mitglieder sind:
— die Mitglieder des Akademischen Senats,
— die Mitglieder des Präsidiums,
— die Gleichstellungsbeauftragte,
— die bzw. der Behindertenbeauftragte,
— die Vorsitzenden der Personalräte,
— die Vorsitzenden des AStA,
— eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des Studierendenparlaments
— eine Vertreterin bzw. ein Vertreter der Fachschaftsräte,
— je acht Mitglieder der Fakultätsräte, darunter zwei Mitglieder aus jeder Gruppe,
— jeweils ein Mitglied aus den Dekanaten der Fakultäten.
[..]
(3) Die zuständigen Organe der Universität und der Fakultäten sind verpflichtet, Beschlüsse des Konvents zu beraten und ihre Entscheidungen dem Konvent gegenüber zu begründen.
(4) Für das Verfahren des Konvents gilt die Geschäftsordnung des Akademischen Senats. Der Konvent tagt hochschulöffentlich. Er kann die außeruniversitäre Öffentlichkeit zulassen. Mitgliedern der Universität, die dem Konvent nicht angehören, kann durch das vorsitzende Präsidiumsmitglied oder auf Antrag eines Konventmitgliedes Rederecht erteilt werden. [...]“

Aus: Grundordnungsbeschluß des Akademischen Senats, März 2006.

Liebe Kolleginnen und Kollegen -

die Universitätspräsidentin will mit Hilfe des ehemaligen Leiters der katholischen Akademie ein „Board of Mentors“ einrichten. „Mentoren“ seien Menschen aus Politik und Wirtschaft, die hohe Ämter einnehmen oder einnahmen bzw. über große Einkommen (Einfluß) verfügen, also: „Persönlichkeiten“.

Neben einem ehemaligen Bürgermeister und einem Ex-Senator finden sich deshalb die Präsidenten der Handels- und Handwerkskammer ein, eine Hamburger Großunternehmerin, ein Unilever-Manager, ein Privatbänker, ein Unternehmensberater. Sie sollen die Leinen straff ziehen, die die regionale Cluster-Wirtschaft nach den Wissenschaften ausgeworfen hat. Das Kaufen und Verkaufen soll Modus und Inhalt der akademischen Tätigkeit werden.

Die Präsidentin hält dies für (wissenschaftliche?) „Exzellenz“ und Respekt der Gesellschaft vor der Universität.

Wir sind dagegen der respektvollen Auffassung, daß die Universität weniger Kommerz und mehr Vernunft und Demokratie braucht. Sie ist auch hierin ein Teil der real-existenten krisenhaften und deshalb veränderungswürdigen Welt. Vernunft gedeiht, wenn begründete Anliegen in demokratischer Auseinandersetzung verallgemeinerbar entwickelt werden. Wahrheitsfindung, die produktive Verbreitung von Erkenntnissen und engagierte Humanität sind dafür gute Maßstäbe. In diesem Sinne hat sich der Akademische Senat 2006 für einen Universität-Konvent als Nachfolge des Konzils eingesetzt. Der wirtschaftsnahe Hochschulrat hat diesen damals verhindert. Mit dem „Board of Mentors“ soll ein „Gremium“ geschaffen werden, das in keiner Weise demokratisch legitimiert ist und den Erfordernissen universitärer Entwicklung entgegensteht.

Der Akademische Senat sollte stattdessen eine neue Initiative für die Einrichtung des Konvents ergreifen.

Mit ermunternden Grüßen

Olaf Walther und Golnar Sepehrnia


X. Offener Brief an die AS-Mitglieder

Historische Daten bieten die zu nutzende Gelegenheit, kritisches Selbst-Bewußtsein und eine verantwortliche handlungsrelevante Perspektive zu bilden. Wir ermutigen deshalb auch „außer der Reihe“ zum bewußten Umgang mit der Geschichte der eigenen Einrichtung.

Hamburg, den 2. November 2008

„Aus den Bücherhallen
Treten die Schlächter.
Die Kinder an sich drückend
Stehen die Mütter und durchforschen entgeistert
Den Himmel nach den Erfindungen der Gelehrten.“

Bertolt Brecht, „Deutsche Marginalien“, 1938.

Sehr geehrte Mitmenschen im Akademischen Senat -

Diese Woche wird der nahende 70. Jahrestag der Reichspogromnacht von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der jüdischen Gemeinde Hamburg als historischer Bezugspunkt genommen, erneut der Opfer der unvergleichlichen Diktatur, des Völkermordes und des Krieges zu gedenken. Die Universität beteiligt sich regelmäßig an dieser Veranstaltung am historischen Ort der Bornplatzsynagoge, in unmittelbarer Nähe zu ihrem Campus. Damals wie heute basieren Krieg und Völkermord auf technischer und administrativer Realisierung und systematischer ideologischer Verblendung. Die Wissenschaften haben deshalb mit der Verwirklichung ihrer aufklärerischen Verantwortung oder der Vernachlässigung dieser Aufgabe erheblichen Einfluß auf die positive Entwicklung der Zivilisation oder ihre mögliche Zerstörung.

Die Erinnerung an die Verfolgten und Ermordeten wachzuhalten, sich der Mitverantwortung der Universität - insbesondere für die Vertreibung ihrer eigenen Mitglieder - zu stellen und das Andenken der wenigen mutig Widersprechenden zu wahren, das ist eine relevante Voraussetzung für bewußte universitäre Arbeit. Gedenken kann Zukunft schaffen.

Wir rufen deshalb zur Teilnahme auf:

Gegen das Vergessen
Mahnwache aus Anlaß des 70. Jahrestags der Reichspogromnacht

Donnerstag, 6. November 2008, 15 Uhr,
Joseph-Carlebach-Platz (zw. Allende-Platz 2 und Talmud-Tora-Schule)

Mit freundlichen Grüßen

Golnar Sepehrnia und Olaf Walther


XI. Zum Geleit XLVI

Zur AS-Sitzung am 20. November 2008

Zur Ablenkung von Wesentlichem beschäftigen sich die Professores (und alle anderen) viel zu ausführlich mit dem Dünkel-Thema Nr. 1: Berufungsordnung. So vermeiden und behindern sie die ernsthaft kritische Befassung mit der neu zu gestaltenden Satzung zur Stundung der „nachgelagerten“ Gebühren. Die Diskussion des Wirtschafsplans mit dem die Präsidentin der Erziehungswissenschaft 10 Prozent ihrer Kapazitäten rauben will, ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Immerhin: ein Beschluß zur Ermutigung von studentischen Aktivitäten gegen den extrem rechten „Hamburger Verbände Kommers“ von Burschen und studentisch „Corporierten“ wird gefaßt. Es ist Zeit für einen Wechsel.

Der schiefe Turm von Hamburg
oder
Die Stiefkinder der Ökonomie

1) Wer dreht sich um und ...

„Die religiöse und politische Macht lacht nie. Je absolutistischer ein System ist, desto größer die Traurigkeit und Finsternis seiner Umgebung. Wenn in einem solchen System ein Gelächter explodiert, entfaltet es die Kraft einer Bombe, die den ganzen Apparat des Terrors verreißt und die Menschen von ihrer Angst befreit.“

Dario Fo, „Die Welt, wie ich sie sehe/Das Lachen als tödliche Waffe“, S. 95, 2008.

Der regierende Bürgermeister (CDU) der Stadt spricht mit bitterer Miene davon, daß wir vor mageren Zeiten stünden.
Die Reden von „Blut, Schweiß und Tränen“ oder „Kanonen statt Butter“ haben eine besondere teutonische Tradition.
Es sei genug davon.

2) Unbekömmliche Schieflage

„Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder gerade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.“

Kurt Tucholsky, „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“, 1931.

Schlicht und wahr: Löcher sind (wenigstens) zu stopfen, Schieflagen zu begradigen. Elend hat überwindbare Ursachen.
Das Sinnbild der Stadt muß ein offenes Tor sein.

3) Vorwärts, zurück zum Disput!

„Ach, es gibt vieles, dem man nachweint. Einst gab es zwischen den Parteien noch wirkliche Unterschiede, leistete man sich noch eigene Überzeugungen und reagierte nicht nur auf die Ideen der andern. Vielleicht liegt es nicht nur am allgemeinen, von den Umständen erzwungenen Mittelmaß, sondern auch an den Verführungskünsten der Werbefachleute, die von allen Seiten herangezogen werden, um die Wähler zu kapern.“

Sir Peter Ustinov, „Denk ich an England“, 1997.

Werbung - wo und welcher Art, ist egal - als die absichtliche Entstellung der Wahrheit ist erkenntnisfeindlich.
Man soll zufrieden sein, wo man doch unzufrieden sein müßte. Worte sollen einlullen.
Ein solches Werbewort ist „Marktwirtschaft“.

4) Der Bildung tieferer Sinn

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Es treffen sich aber Wissenschaft und Kunst darin,
daß beide das Leben der Menschen zu erleichtern
da sind, die eine beschäftigt mit ihrem Unterhalt,
die andere mit ihrer Unterhaltung. In dem
Zeitalter, das kommt, wird die Kunst die
Unterhaltung aus der neuen Produktivität schöpfen,
welche unsern Unterhalt so sehr verbessern
kann und welche selber, wenn einmal ungehindert,
die größte aller Vergnügungen sein könnte.“

Bertolt Brecht, „Kleines Organon für das Theater“, 1949.

Am besten sind also Kunst, Wissenschaft und produktive (also freundliche) Lebensart mit einer zivilen Ökonomie auf der Weltbühne in Einklang zu bringen.
Auch das lehrt uns „PISA“.
Wer das Leben fortgesetzt als Verdruß suggerieren will, verdient Gelächter (siehe 1).