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Vernunft? Ja, Vernunft!

Zum neunzigjährigen Geburtstag der Universität Hamburg

„Wo ehemals die klassische Bildung als ein heiterer Selbstzweck gegolten hatte, den man mit Ruhe, Muße und fröhlichem Idealismus verfolgte, da waren nun die Begriffe Autorität, Pflicht, Macht, Dienst, Karriere zu höchster Würde gelangt, und der ›kategorische Imperativ unseres Philosophen Kant‹ war das Banner, das der Direktor Wulicke in jeder Festrede bedrohlich entfaltete. Die Schule war ein Staat im Staate geworden, in dem preußische Dienststrammheit so gewaltig herrschte, daß nicht allein die Lehrer, sondern auch die Schüler sich als Beamte empfanden, die um nichts als ihr Avancement und darum besorgt waren, bei den Machthabern gut angeschrieben zu stehen ...“

Thomas Mann, „Buddenbrooks“, 1901, html.

Mit steif-humorloser Festlichkeit wurde dieser Tage im Rathaus der Gründung der Universität gedacht. Studierende und (kritische) Öffentlichkeit wurden vorsichtshalber nicht eingeladen. Das ist ein spießiges Programm.
Die nach der politischen Revolution am 1. April 1919 gegründete Universität implizierte hingegen das Erbe der Aufklärung als geistig-kulturellen Auftrag für die Errichtung der jungen Demokratie gegen Krieg, Militarismus, Diktatur und soziale Not.
Gut 90 Jahre später ist – wieder einmal – der gesellschaftliche Rahmen zu eng geworden, um den humanistischen Bildungs- und Forschungsauftrag der Wissenschaften verwirklichen zu können. Die geschäftliche Fremdbestimmung von Bildung und Wissenschaft, die Übernahme von hohlen „Effizienz“-Dogmen und schnödem Marketing hat allen geschadet: selektive Studiengebühren und restriktive Studienstrukturen sind schlicht Entfaltungshindernisse. Die konkurrenzhafte Mittelvergabe und -besoldung und die damit verbundene Bürokratie beengen faires, kooperatives und verantwortungsbewußtes Handeln. Das Gesundbeten profitabler Verhältnisse, die fade empirische Beschreibung der politischen Oberfläche, die Biologisierung bzw. Pathologisierung von sozialen Strukturen und kulturellen Haltungen, das „Recht“ des Durchsetzungsstarken, „Bildung“ als performatives Markttraining, teures Entertainment für Film, Funk, Fernsehen und sogenannte Zeitungen, eine weitgehend sinnentleerte Sprachpaukerei und eine bestenfalls vorwissenschaftliche, anti-kritische Berufsfeldorientierung (ABK) sollen als der Weisheit letzter Schluß gelten. Die Krise ist in der Universität angekommen.
Um da herauszukommen, muß die Universität stattdessen einen kulturellen Beitrag zum vernunftgemäßen Aufrichten gegen den organisierten Irrationalismus, also gegen Kriege aller Art, wider geistige und blinkende Verflachung und gegen das Gebot der dogmatischen Verwertungshierarchie leisten:
Was sind somit aktuelle Schlußfolgerungen aus der weitgehend demokratischen Gründungsgeschichte der Universität, den produktiven Konflikten zwischen bornierten Kaufleuten, aufgeklärten Bürgern und der bewegenden Erhebung der Arbeiterbewegung? Wie gelingt die Überwindung von profitbestimmten Diktaten als aufgeklärt befreiendes Eingreifen in die Gesellschaft? Wie kann das humanistische Erbe der Menschheit, wie können wissenschaftlich-technische, soziale und politische Errungenschaften für die Allgemeinheit angeeignet, weiter entwickelt und verbreitet werden?
Wie kann die „hohe Schule der Gesellschaft“ Erkenntnisse über den gesellschaftlichen Menschen für mündiges, kooperatives und verallgemeinerbares Handeln deutlich, souverän nachvollziehbar und produktiv machen?
Aus der Geschichte läßt sich lernen: Humanität und Aufklärung manifestieren sich seit jeher in den Kämpfen für die soziale, kulturelle und demokratische Entfaltung der Menschheit.
Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind eine unerschöpfliche Quelle.